Heft 
(1985) 40
Seite
169
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und es einem Typus vom Schlage des Geheimrats Schulze erleichtert, den Frack des Herrn von Chergal bis zur Unkenntlichkeit auszuflicken. 63 Er wußte nicht, wohin es ging, darum eben kam er am Weitesten, so sagte einmal Maximilian Harden über den Kanzler. 64Eine Reichsidee als zündendes Leit- und Zukunftsbild seiner Schöpfung besaß Bismarck nie; er und die Führung des Reiches konnten sie daher auch nicht vermitteln 63 , stellt L. Gail nüchtern in seiner Bismarck-Biographie fest. Was er erreichte, hat er seiner Zeitin Widerstand und Entgegenkommen abgetrotzt. Dabei war er in der konkreten Gestaltung der Verhältnisseviel weniger frei, viel weniger souverän ... als oft dargestellt, viel öfter zu weit­reichenden Kompromissen und zu Opfern ursprünglicher eigener Vor­stellungen gezwungen. 66 Mitunter ging es dabei nicht ohne vonkrasse­sten Widersprüchen getragene Mogeleien 67 ab, mit dem Ziel, die Ver­gangenheit so zurechtzubiegen, wie es den eigenen augenblicklichen Zielen entsprach, so Fontane. Was Wunder, wenn er die Ausführungen des polnischen Schriftstellers Sienkiewicz über Bismarckeinfach nicht zu übertreffen nannte. 68Es ist ganz gleich, ob Fürst Bismarck wirklich gesagt hat: ,Macht geht vor Recht 1 oder nicht. Die Vox populi, die ihm diese Losung zuschreibt, sieht in ihm die Verkörperung dieses Gedankens, und sie sieht richtig. Denn er war unzweifelhaft die Seele und der Aus­druck seiner gesamten Politik. 69 Nichts anderes meint die Anekdote vom Einzug der Sieger nach dem 70er Kriege, nach der das kleine Mädchen Bismarck, welcher, auf Moltke verweisend, den ihm dargebotenen Kranz nicht annehmen wollte, zurief:Aber Sie haben doch angefangen. 70 Gewiß verdient Fontanes literarischer Beitrag zur Stiftungslegende des Kaiserreichsgeringfügig (Wruck) genannt zu werden, denkt man an seine diesbezügliche Produktion. Diese sollte allerdings nicht zu falschen Schlüs­sen verleiten. Die Herstellung der deutschen Einheit besaß in seinen Augen einen hohen Stellenwert, und zwar jenseits des damals so lautstarken patriotischen Blechs. Mit derghibellinischen Idee hat er sich auch in seinem Romanwerk auseinandergesetzt. 71 Als das üblicheSightseeing ihm längst kein Interesse mehr abnötigte, zog ihn Goslar, ehedem eines der Zentren der Reichsmacht unter den sächsischen und salischen Kaisern, unvermindert an, machte diese Stadtdoch eine Ausnahme. 72 Hier ging es nicht um touristische Pflichtübung, sondern umIdee, deren mani­pulierter Charakter zumindest zeitweilig von ihrer Suggestionskraft zugedeckt wurde. Gerade damals rückte Goslars ehrwürdige Pfalz in den Mittelpunkt von Bemühungen, diese Stätte einstiger Kaisermacht der Stiftungslegende des Hohenzollernkaisertums dienstbar zu machen. Dies um so mehr, als die alles Sakralen gänzlich entkleidete Neuschöpfung des Bismarckreichs anfangs auf einen Brückenschlag zwischen dem alten und dem neuen Reich nicht verzichten wollte. Zur Eröffnung des ersten deutschen Reichstages nahm Wilhelm I. auf dem berühmten Goslarer Kaiserstuhl Platz, der eigens nach Berlin geschafft worden war, um an diesem Tage gleichsam als Reichsthron zu dienen. Seit 1879 arbeitete Professor Wislicenus,eine Säule der weltlichen Wandmalerei Deutsch­lands, daran, die Wände des großen Kaisersaals mit einem Gemälde­zyklus auszuschmücken, der, ungeachtet aller Widersprüchlichkeit im her-