angezogenen historischen Ideengut, dem preußisch geprägten Kaisertum eine zusätzliche Legitimierung verschaffen sollte. Der Goslarer Geschichtszyklus endet mit dem Reichstag zu Worms (1521). Jedoch nicht dem Habsburger Karl V. gilt dabei das Interesse, sondern dem Mönch, dem Reformator Luther, dem Verkörperer des protestantischen und nationalen Prinzips. Die in der Verherrlichung des Staufertums propagierte ghibel- linische Idee feierte „die Kaiser des Mittelalters als die Vorkämpfer eines deutschen oder germanischen gegen ein römisch-romanisches Weltprinzip“. 73 Auswahl und Abfolge der Zyklusbilder erwiesen sich damit als höchst aktuell, als programmatisch für Preußens Selbstverständnis im Kulturkampf, eines der großen Themen Bismarckscher Innenpolitik. Die Auseinandersetzung zwischen Staat und katholischer Kirche schleuderte ihre Blitze bis nach Goslar und zwang Wislicenus, seine Konzeption abzuändern. Ghibellinisches, das heißt antirömisches und auf ein starkes protestantisches Kaisertum bedachtes Denken, konnte es auf der Höhe des Kulturkampfes nicht mehr zulassen, die Canossa-Szene, wie ursprünglich geplant, im „alten großartig einfachen Kaiserhauß zu Goslar“ 74 Gestalt annehmen zu lassen. Unter dem Einfluß des bekannten Bismarckwortes wollte man „auch auf dem Bilde nicht“ 75 mehr nach Canossa gehen, statt dessen ließ der Künstler Heinrich IV. nunmehr in Mainz einziehen. Außerdem schwand der Plan, Barbarossa die Steigbügel des Papstes halten zu lassen. Dafür empfing der Rotbart die „Abbitte Heinrichs des Löwen“, welche die Niederlage der Guelfen besiegelte. 70
Fontane, dessen Abstand zum politischen Katholizismus wie zur protestantischen Orthodoxie gleichgroß gewesen sein dürfte, lehnte die vom Reichsgründer inszenierte „Katholiken-Hetze“ entschieden ab. 77 Religiöse Duldsamkeit, wie sie einst im Toleranzedikt von Potsdam (1685) der Vertreibung der Protestanten aus dem Frankreich Ludwigs XIV. entgegengestellt worden war, galt dem Hugenottenabkömmling als wesentliche „preußische Idee“. Religiösen Fragen mit der Omnipotenz des Staates zu begegnen, wjes er weit von sich, lehnte er zur Zeit des Kulturkampfes ebenso ab wie in der Umsturzvorlage. Religiöse Toleranz war ihm durch mehr als 35 Jahre im Hause der befreundeten Wangenheims begegnet, wo er auch den Zentrumsführer Ludwig Windthorst getroffen hatte, eine der „Hauptfiguren“ unter den Gästen. Hier lernte er, wie Verchau betont, „eine ihm bis dahin unbekannte katholische Frömmigkeit“ kennen sowie „eine katholisch geprägte Geistigkeit“ 78 , deren Bedeutung, Gewicht und Kraft sich in seinem Werk wiederholt kundtat.
„Nach Canossa gehen wir nicht, weder körperlich noch geistig“, hatte Bismarck 1872 im Reichstag erklärt. Gleichwohl mußte er, um den Kulturkampf beenden zu können, manche staatliche Kampfmaßnahme gegen die katholische Kirche wieder zurücknehmen. Als Bismarck sich um einen Ausgleich zu bemühen begann, schrieb die angesehene liberale „Augsburger Allgemeine Zeitung“ (1881): „Wir sind nicht auf dem Wege nach Canossa, sondern bereits tief drinnen im Vorhof dieser interessanten Burg, in welche das stolze Wort des Reichskanzlers die Nation niemals hinaufzuführen versprochen hatte.“ 70 Als schließlich das Ende der unerfreulichen Auseinandersetzungen herbeikam, meldete sich die nationai-
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