Heft 
(1985) 40
Seite
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liberale Magdeburger Zeitung (1887) enttäuscht zu Wort:Gestehen wir nur ein, wir haben uns richtig nach Canossa verlocken lassen und verhan­deln mit dem Papst über nichts anderes, als über das Mehr oder Weniger der bei ihm zu übernehmenden Dienstbarkeit. 80 Einem so aufmerk­samen Beobachter der politischen Szene und alles dessen, was Bismarck tat und sagte, wie Theodor Fontane, entging die schrittweise Verständigung Bismarcks mit der Kurie vor allem seit Anfang der achtziger Jahre nicht.Nach Canossa gehen wir nicht, so hatte es noch kürzlich geheißen. Dazu schrieb er 1883 an seine Frau:Es soll jetzt in ,doch abgeändert werden, vielleicht blos überklebt, damit mans leicht wieder abreißen kann. 81 Ideenpolitik oder Opportunismus?Die preußische Idee ist Wechselfällen und dadurch Schwankungen unterwor­fen.Gebändigter Fortschritt undbeförderter Rückschritt. 82 Goslar war ihm ebenso Idee wie Canossa und die Gedenksäule auf den Ruinen der Harzburg. Stand letztere für die Guelfen, so symbolisierte die alte Kaiser­stadt das Ghibellinentum. Was die Bismarcksche Reichsschöpfung betraf, so fühlte sich Fontane gewiß als Ghibelline, was die innere Ausgestaltung der Verhältnisse anging, so war er ebenso gewiß Guelfe. Ein nach außen- hin respektiertes geschlossenes Reich unter Wahrung seiner regionalen und kulturellen Besonderheiten als Gegengewicht zum sich überall aus­breitenden Borussentum, das war es, was er erstrebte. 83 Als Ghibelline stand er dem Ideal Treitschkes nahe, dem die kleindeutsche Lösung der nationalen Frage Ziel aller Sehnsüchte war, als kritischer Beobachter der inneren Entwicklung des Bismarckreiches verstärkten sich seine födera­listischen Neigungen dergestalt, daß erRotspon und Onkel Bräsig höher stellteals den ganzen Borussismus. 84

Widersprüche haben diepreußische Idee durch die Geschichte begleitet und das Image des Staates der Hohenzollern je nachdem bestimmt. Fort­schrittlich in seiner religiösen Toleranz, in der Aufnahme von Verfolgten, in der Reform seiner Justiz und Verwaltung, in Judenemanzipation und Meinungsfreiheit, in seiner Bildungspolitik nicht zuletzt, setzte er sich gleichwohl 1819 an die Spitze der Reaktion und machte sich zum Büttel des Systems Metternich. Auf märkischem Boden gedieh Fronde neben Kadavergehorsam. Unter Preußens Führung wurde der deutsche Einheits­staat Wirklichkeit; unter Preußens Vorherrschaft verblieb dieinnere Reichsgründung, gewannen Staat und Gesellschaft ihr in vielen Zügen militärisch geprägtes Gesicht.

Fontanespreußische Idee stellt in der Metamorphose ihres Protagonisten in gewisser Weise einen Abriß der Entwicklung des staatstragenden Beamtentums seit dem Vormärz dar. Bis an die Schwelle der Märzrevo­lution hatte der Aufstieg einer Beamtenelite fortgewirkt, welcher unter Friedrich dem Großen zögernd einzusetzen begann und in der preußischen Reformzeit auf seinen Gipfel gelangt war. Dieser meist aus bürgerlich liberalen Verhältnissen stammendenregierenden Klasse eigneten Bil­dung und Urteilsvermögen ebenso wie Selbständigkeit, Reformwillen und kantsches Ethos. 85 Nun aber begann der von Militär und Beamtenschaft, nie aber volksmäßig geprägte Staat sein Gesicht in dem Maße zu verän­dern, in welchem er mit dem Aufkommen der politischen Parteien seine

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