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Haaren verschlingen und zu seinesgleichen machen, und das nenne ich, daß Sie Ihre Seele verrate::! Und der Gedanke daran ist das einzige, was mich jetzt überhaupt auf der Welt noch betrüben kann. Und der böse Feind ist nahe. Ich höre ihn die ganze Zeit schon auf der Treppe sprechen."
Und gleich darauf trat Erich Vardefleet wirklich durch die halboffene Tür, mit seiner straffen Länge den niederen Raum beinahe bis zur Decke füllend. Auch er hatte sich von einer:: Araber herführen lassen. Kilian Böhm würdigte er nur eines kürzen, wie ein Befehl klingenden: „Sie gestatten wohl?" den alten Husebeck überhaupt keines Blickes und wandte sich an Thomasine Rasmussen.
„Das geht nicht, Fräulein Rasmussen!" sagte er hart und schroff. „Ich Hab' mich besonnen und bin Ihnen gefolgt, damit nur gleich dieses Mißverständnis zwischen uns klar wird, als ob ich es auf die Dauer auf einen Wettbewerb mit Herrn Doktor Kilian Böhm ankommen lassen will. . . Nein, bitte, unterbrechen Sie mich nicht, ich muß jetzt sprechen. Mit Leuten meiner Klasse, gut, da lasse ich es darauf ankommen, ob ich oder ein anderer als Sieger aus dem Kampf hervorgeht, oberes gibt auch Kampfplätze, auf die steigt man nicht hinunter, weil da mit andern Waffen gefochten wird, als man gewohnt ist, ich möchte schon fast sagen: mit Narrenpritschen!" Er warf einen Blick auf den kleinen Weisen im Bett, der friedlich dalag und ihn freundlich betrachtete. „Da kann man nicht mittun, da macht man sich selbst lächerlich! Und dazu bin ich nicht der Mann, Fräulein Rasmussen, und dem lasse ich mich nicht von Ihnen aussetzen! Das sage ich Ihnen jetzt in allem Ernst ..."
„Ja, ihn: wär' es freilich lieber, wenn mich der Nil behalten hätte", sagte Kilian Böhm sanftmütig zu Thomasine, ehe die selbst antworten konnte. „Sehen Sie, wie böse er ist! Er wünscht andern Wesen den Tod. Mir hat er ihn gestern abend auch gewünscht."
Hatten sich die beiden denn gestern abend gesprochen? Thomasine Rasmussen sah erst den einen, dann den andern erstaunt an, und Kilian Böhm versetzte: „Ich konnte doch nicht zu Ihnen, Fräulein Rasmussen! Ich war doch nach Kairo gelaufen, gleich nach Sonnenuntergang, um Sie um Verzeihung zu bitten. Aber im Hotel haben sie mich doch nicht hereingelassen — das fehlte noch, daß da irgendein arabischer Tagedieb wie ich kommt und sich bei den Damen dadrinnen anmelden läßt, hat der Portier gemeint, der
majestätische mit dem langen Bart ... so wie der muß der Jupiter ausgesehen haben, nur weniger stolz und nichts an, und ich stand da und wußt' mir nicht zu helfen, und da ist der dazu gekommen", er wies auf Erich Bardefleet, der ungeduldig in: Zimmer auf und ab ging. „Und wie Hab' ich gebettelt und ihn gebeten, er möchte doch, wenn er jetzt zu Ihnen hinaufginge, nur Gehör bei Ihnen verschaffen. Nur ein paar Worte! Ich wisse ja, wie unrecht ich gehandelt hätte! Ich bereute es ja so bitterlich! Nur um Verzeihung wollt' ich
bitten und dann still wieder Weggehen und nie, nie wiederkommen! Und was hat er getan auf mein Flehen? Gelacht hat er dazu und zu seinen Freunden gesagt: -Der Kerl wird wirklich jeden Tag verrückter! Man muß ihn nächstens einsperren?"
Erich Vardefleet hätte ohne die Scheu vor Thomasine
längst die Rede des andern unterbrochen. Aber jetzt konnte er nicht mehr an sich halten und versetzte rasch und hart: „Sie werden begreifen, Fräulein Rasmussen, daß ich Ihnen diese neue Szene ersparen wollte! Und daran tat ich recht! Ich habe diese Kilian Böhmschen Komödien jetzt satt bis zum Hals. Ich spiele nicht mehr mit!"
„Es steht geschrieben im Buch der Veden", sagte der Weise von seinem Bett her: „-Mögen alle lebenden Wesen vom
Schmerz befreit bleiben? — Haben Sie daran gedacht, als ich gestern vor Ihnen stand und Sie so inständig bat?"
„Was weiß denn ich vom Sanskrit!"
„. . . und als ich schließlich zu weinen anfing in meiner Angst und Not und sagte: -Wenn ich Fräulein Rasmussen
nicht sprechen und ihre Vergebung bekommen kann, dann springe ich in den Nil, wo er am tiefsten ist? — Was haben Sie darauf geantwortet?"
Es trat eine plötzliche Stille ein. Erich Vardefleet biß sich auf die Lippen und wandte sich zu den: Erkerfenster. Und nun Hub Kilian Böhm wieder an mit einer ganz sanfter: Stimme: „Sie haben sich eine Zigarette angezündet und geantwortet: -Tun Sie's doch? Sogar Ihren Freunden um Sie, die doch gewiß auch schlechte Menschen sind, war das zu viel, und sie haben die Köpfe geschüttelt. Sie aber haben gelacht. Und da bin ich ganz verzweifelt geworden und davon gerannt und ins Wasser, um ein neues Leben anzufangen. . . und nun bin ich doch im alten Leben geblieben, und Fräulein Rasmussen hat nur doch verziehen, und Ihre Bosheit war umsonst ..."
Er streckte sich befriedigt auf seine::: Lager aus. Und Thomasine Rasmussen sagte, etwas blaß geworden, aber in festem Ton: „Adieu, Herr Bardefleet!"
Auch er blieb gefaßt, wenn sich auch sein Gesicht noch mehr verfinsterte. „Ich möchte Ihnen nur eins sagen," sprach er, „wenn Sie mich jetzt wegschicken, in dieser Form, vor diesem Menschen, dann komme ich nie wieder."
„Das erwarte ich auch nicht anders, Herr Vardefleet!"
„Das ist bei mir nicht nur jetzt eine rasche Äußerung des Zorns! Bedenken Sie, was Sie tun, Fräulein Rasmussen! Ich gebe Ihnen mein Wort, hier, in Gegenwart des Herrn Husebeck: Ich lasse nichts wieder von mir hören und sehen!"
„Und Herr Husebeck ist ebenso überzeugt wie ich, daß ein Mann wie Sie unverbrüchlich sein Wort hält! Nicht wahr, Herr Husebeck?"
„Ja, das soll wohl sein!" meinte der Konsul verblüfft. Er begriff noch kaum, was da geschah. Und Erich Bardefleet griff nach seinem Hut, machte eine leichte Verbeugung, sagte: „Gut denn, ich empfehle mich!" und ging.
Seine Schritte verhallten über die Treppe hinab. Es war eine lange Stille in dem kleinen Zimmer. Dann nickte Kilian Böhm beruhigt und sah, die Hände übers Kreuz geschlungen, andächtig zu der niederen und rissigen, von Fliegen über- krochenen Decke über seinem Haupt empor und versetzte: „So, nun ist Ihre Seele gerettet! Nun kann es Ihnen nicht mehr schlecht gehen, Fräulein Rasmussen. Nun lasse ich Sie in Frieden ziehen!"
Damit reichte er ihr die Rechte hinüber zum Abschied auf Lebenszeit, und in seinen Augen war ein wehmütiger, aber wunschloser Glanz und um den Mund ein Lächeln der Entsagung. Und sie versetzte, während sie ihm herzhaft die Hand schüttelte: „Ja! Ich reise jetzt weg von hier, so rasch wie möglich . . . das begreifen Sie, damit ich nicht noch einmal durch Zufall mit Herrn Bardefleet zusammenkomme. Aber Sie müssen auch nach Deutschland zurück, Herr Doktor Böhm, das müssen Sie mir noch versprechen, ehe ich gehe, damit ich ruhig bin. Sie gehören doch zu uns!"
„Ich?" sagte Kilian Böhm erstaunt, und sie führ fort: „Wir werden schon für Sie sorgen. Es wird sich schon ein Platz für Sie finden. Aber von hier müssen Sie doch weg, nicht wahr?"
Er begriff sie erst gar nicht recht. „Von hier weg?" murmelte er nachdenklich. „Wo doch die Pyramiden sind'. . . und die Sphinx . . . und wo man doch Kairo hat . . . Sehen Sie nur, wie da drüben die Palme über die Mauer bei dem Schuhflicker schaut und. der blaue Himmel dahinter. . ."
„Nun ja . . . aber auf die Dauer ist's doch bei uns schöner!"
„Bei euch ist's kalt!" Der kleine Mann schauerte unter seiner rotgewürfelten Decke. „Pfui, wie pfeift da der Wind . . . und alles ist naß. Wo soll ich mich denn da still in die Sonne setzen und glücklich sein . . .?"
„Die Sonne scheint doch auch bei uns!" sagte Thomasine Rasmussen. Aber er seufzte. „Selten, selten! Und wenn ich da sitze, dann kommen die Leute zu Tausenden vorbei, die