Issue 
(1906) 39
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9-ach dem Muster von Belgien ist vor etwa zehn Jahren auch in Steg'litz bei Berlin eine große Weintreiberei eingerichtet worden, allerdings mit einer Zentralheizung, was offenbar viel Arbeit erspart. Ganz neuerdings hat sich auf Veranlassung der Landwirtschafts­kammer der Provinz Brandenburg eine Märkische Obst- und Tafel- traubenverwertungs-Genossenschaft gebildet. Diese Genossenschaft hat bei Luckau ein Grundstück von 25 Morgen, auf dem sie übrigens neben Wein auch Obst bauen will.

Schon vor Jahren hat ein deutscher Landsmann in Belgien darauf hingewiesen, daß sich die belgische Kulturmethode auch für Deutschland eigne, und er hat ganz besonders betont, daß der Wein­stock die einzige Obstart ist, die im Hause größere, edlere Früchte erzeugt als im Freien. Hoffen wir, daß die neugegründete Genossen­schaft gut gedeihe und andere ihr folgen. Nur dann ist aber ans einen flotten Absatz zu rechnen, wenn die Produzenten regelmäßig den ganzen Winter hindurch Trauben liefern können.

o-

(Lchlusz.)

Ein wunderlicher Heiliger.

Von Rudolph Stratz.

homasine Rasmussen und ihre Begleiter waren jetzt im Ouartier der Schmiede. Mit gekreuzten Beinen saßen die reihenweise in ihren offenen Läden und hämmerten aus Leibeskräften. Und plötzlich machte der Araber vor einem niederen offenen Haustor Halt. Eine steile Hühnerleiter führte von ihr in das Dämmern des oberen Stockwerks empor, das auf Stützen vorgebaut,' wie ein ausgewölbter Vogelbauer über der engen Gaffe hing. Oben an der Treppe stand eine alte, schlampige Levantinerin, musterte mit tiefstem Erstaunen die beiden Europäer, den alten Herrn und die junge Dame, die die schmutzigen Stufen emporstiegen, wechselte ein paar Worte mit deren Führer und stieß dann ohne weitere Umstände mit einem heiseren: bKeolo!" die Tür zu dem vogelkäfigähnlichen Erker auf.

Und keine Negerkinder purzelten da über die Schwelle keine verschleierte Odaliske stand scheu in eine Ecke gedrückt und es kräuselte sich kein Opiumrauch keine Scheichs oder Desperados der Kalifenstadt hielten an Kilian Böhms Lager die Krankenwacht was man da sah, das war ein echtes deutsches Gelehrtenstübchen, rührend in seiner Einfachheit und Winzigkeit gerade als habe man irgendwo im Norden die Brutstätte solch eines Bücherwurms säuberlich in eine Schachtel gepackt und hierher, in den Lärm und Trubel des Orients, ge­schickt, so reihten sich an allen vier Wänden die Regale und standen in ihnen Hunderte und aber Hunderte von Bänden bis an die niedere Decke hinauf, die philosophische Weisheit aller Zeiten und Völker in allen Sprachen und Formen von den Beden bis zur Kritik der reinen Vernunft genug, um nicht einen, sondern ein Dutzend Menschen ver­rückt zu machen. Und es lag kein Staub auf diesen Büchern und dem wackligen kleinen Tisch in der Fensternische und der Lampe auf ihm und den mit Hieroglyphen und Sanskrit­wurzeln, hebräischen und griechischen Notizen bedeckten Blättern. Kilian Böhm dachte immer noch und zerbrach sich den Kopf über die Rätsel des Seins, wenn er es auch nicht wahrhaben wollte und Sonnenglut und Wüstenruhe und Ppramiden- schatten als letzte Weisheit pries.

Mitten im Zimmer stand eine armselige kleine Bettstelle. In der ruhte er. Die feuchten Pantoffel standen davor. Der immer noch nasse Burnus war in der Ecke Zum Trocknen auf­gespannt. Kilian Böhm lag mit dem Gesicht den Eintretenden abgewandt, und Thomasine Rasmussen bangte vor dem ersten Anblick dieser Züge, auf denen die seelischen Erschütterungen der letzten Tage, die Verzweiflungstat von heute nacht sich spiegeln mußten. Aber da hörte er das Geräusch der Ein­tretenden und drehte sich herum und lächelte ohne Er­staunen - eher mit jener weltentrückten Heiterkeit, mit der er damals bei der ersten Begegnung unter dein Schatten seiner Beduinenkapuze die sonderbaren Menschlein auf Shepheards Terrasse gemustert hatte. Ein rot und weiß gewürfelter Über­wurf verbarg jetzt die Kürze und Dicke seiner Gestalt. Man sah nur den Kopf. Und der zeigte mit seinen dunkeln, feuchten Augen, dem krausgelockten Vollbart, dem sanften Zug um den Mund eine eigene weichliche Schönheit, die jetzt durch die Blässe noch verklärt erschien. Seine kleine fleischige Hand ruhte auf der Decke. Die reichte er Thomasine Rasmussen

und nickte ihr freundlich zu und auch dein alten Husebeck, gleich als habe er sie schon lange erwartet, und sie fragte ihn leise und scheu wie einen Schwerkranken:Wie geht es Ihnen?"

Danke. Sehr gut!" sagte Kilian Böhm stillvergnügt und streckte sich aus.

Sie machte große Augen. Sie begriff seine rosige Laune nicht.Dann hat Ihnen das hoffentlich nicht geschadet. . ." forschte sie bang,. . . das heute nacht..."

Der kleine Weise im Bett schlenkerte mit der Hand, wie wenn er eine Fliege verscheuchen wollte.Das ist vorbei", meinte er ruhig.Wozu noch davon sprechen. . .? Das wäre auch nicht das erstemal gewesen, daß ich gestorben bin! Das ist mir schon oft passiert. Ihnen auch. Euch allen.

Ihr merkt's bloß nicht. Da braucht einem nicht davor bange zu sein. Man ist immer wieder da!"

Ja Gott sei Dank sind Sie wieder da!"

Er schüttelte freundlich lächelnd den Kopf.Ich nicht! Der Mensch von gestern nicht, den- Sie meinen. Der ist tot. Ich Hab' mich wieder einmal geläutert. Der Schleier der

Maja ist wieder einmal von mir gefallen."

Was soll das heißen, Herr Doktor Böhm?"

Das soll heißen, daß mich meine Illusion verlassen hat. Das ganze Leben ist eine Illusion. Das nennt inan in

Indien den Schleier der Maja. Der waren diesmal Sie. Der hat sich zwischen mich und die Dinge gelegt und mich ganz verwirrt, bis ich an den Nil gerannt bür ins kalte Wasser. Das ernüchtert. Das heilt und macht die Augen klar. Und das war hoffentlich meine letzte Versuchung in

diesem Leben."

Er streckte ihr herzlich die Hand hin, so, als wollte er sich mit einem alten Feind versöhnen.Jetzt sind Sie wieder ein Mensch, Fräulein Rasmussen, ich meine, für mich ein Mensch, keine Luftspiegelung eines Wunders mehr, und ich bin auch ein Mensch, und mit des Menschen Weisheit ist es nicht weit her. Das haben Sie an mir gesehen, das müssen Sie mir verzeihen. Ich will's nicht wieder tun. Und nun gehen Sie hin und bessern Sie sich auch!"

Sie begriff ihn nicht ganz. Aber sie war tief bewegt.Es tut mir ja so leid," sagte sie,was ich Ihnen zugefügt habe."

Mir?" fragte Kilian Böhm erstaunt.Nein, sich selbst fügen Sie Böses zu, und das sollen Sie lassen. Das ist meine letzte Bitte. Ich sehe Sie ja doch nie wieder. Sie gehen jetzt doch von mir weg und fahren nach Europa zurück, und wenn ich an Sie denke, dann möchte ich mir doch denken, daß Sie da glücklich find. Sie verdienen es. Denn Sie sind heiter und gut. Mehr soll der Mensch nicht sein."

Ja, aber wieso stehe ich denn meinem Glück im Wege?"

Er richtete sich in seinem Bett auf und hob mit einer Gebärde heiligen Zornes den Finger gegen sie.Haben Sie nicht eine unsterbliche Seele?" fragte er leise und drohend. Ja. Also warum verraten Sie sie? Lieben Sie ihn etwa? Sie wissen schon, wen ich meine! Er ist ein Raubtier, mit seinen wOßen Zähnen und seinen blonden Haaren. Nein, Sie lieben ihn nicht. Sie sind viel besser als er. Und doch werden Sie ihn heiraten, und er wird Sie mit Hallt und

1906. Nr. 39.

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