Issue 
(1906) 39
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1 Mark 5 Pfennig, das Pfnnd also 12,4 Pfennig. Im Gegensatz zum vorigen ist die hellroteTraminer", bezw. die Gewürztraminer Traube mit ihrem wundervollen Bukett dagegen nur Luxustraube für Qualitätsweine und, obwohl haltbarer als derÖsterreicher", zu teuer; auch erfüllt sie nicht den Zweck der Kurtraube, weil sie purgierend wirkt und ihr die Säure fehlt. DerTraminer" dient nur zur Dekoration der Versandkisten.

Bad Dürkheim versendet jährlich etwa 2500 Postkistchen zu je 6 Kilo­gramm, die immer je 3 bis 3 Mark 50 Pfennig kosten. Außerdem werden während der Traubenkur große Mengen an Ort und Stelle genossen; es gibt Personen, die 8 PfundÖsterreicher" am Tag verzehren. Die Traubenkur ist besonders angezeigt bei Brustleiden, Herz- und Unterleibskrankheiten; sie wird in Dürkheim unterstützt durch das Soolbad und das milde Klima. Die Trauben reifen dort und in der ganzen Mittelhardt drei bis vier Wochen früher als in den bevorzugten Gegenden des Rheingaues und der Mosel. Die be­rühmten Rieslingauslesen von Deidesheim und Forst müssen deshalb immer mehrere Wochen früher gemacht werden als die von Steinberg und Johannisberg.

Aus den Zentren des deutschen QualitätsWeinbaues, wo durchgängig nur die reineRieslingtraube" gepflanzt wird, also den berühmtesten Lagen des Rheingaus, der Mosel und Saar, sowie von Deidesheim, Forst, Ruppertsberg, findet kein Trauben­versand statt, weil die kleinbeerige Riesling als Tafeltraube un­ansehnlich ist, und weil man für die Weine viel höhere Preise erhält. Für die feinsten 1900er Deidesheim-Forster Rieslingauslesen wurden z. B. bis zu 12 000 Mark für 1000 Liter in erster Hand an Zros im Faß dem Produzenten bezahlt. Solche Trauben hütet sich der Eigentümer als Eßtrauben zu verkaufen. Das wäre Selbstmord!

Die Tafeltrauben werden in der Pfalz einfach aus dem Weinberg geschnitten, nicht etwa am Spalier gezogen. Ein Aufbewahren findet nicht statt, die Beeren halten sich, da sie zu dünnschalig sind, höchstens drei Tage.

Dies mag mit ein Grund sein, daß die Italiener und Tiroler Trauben sich immer mehr eingeführt haben. Dazu kommt, daß es in Italien bei reichen Ernten an Absatz für den Wein fehlt und die Italiener sich deshalb immer mehr auf den Traubenexport legen. Ihre Trauben find schöner im Ansehen, haltbarer, groß- beeriger, süßer und meist gelb von Farbe, was besonders be­liebt ist, da der Laie bei dieser Farbe edleren Gehalt vermutet. Die ersten italienischen Trauben in der Berliner Zentralmarkt­halle kommen aus Süditalien, Visceglie bei Bari, am Adria­tischen Meer; es sind das die hartschaligen Trauben, besonders Muskateller. Bari und ein anderer Hafenort, Barletta, sind übri­gens auch große Ausfuhrplätze für italienischen Wein in Fässern. Die Ausdehnung der Weinfelder in jener Gegend (Apulien) über­steigt alle Begriffe. Bei Caignolo, nicht allzufern von Barletta, sieht man z. B. die Weinfelder des Herrn von Pavoncelli, die zusammen 2500 Hektar und die des Herzogs von Doudeau- ville, die sogar 3300 Hektar umfassen.

Alsdann folgen die besonders schön aussehendenGoldtrauben" von Caserta bei Neapel, darauf die von Pisa, endlich die kleinen Trauben von Piacenza und dem benachbarten Castel San Gio­vanni usw. Kurz, der Reihe nach sendet fast ganz Italien uns seinen Überfluß.

Die italienischen Trauben gehen übrigens vielfach auch unter dem NamenMeraner Trauben". In Meran, wie in ganz Tirol, aber wird besonders derblaue Trollinger" als Tafeltraube ge­baut, der dortGroßvernatsch" oderMeraner Vernatsch" heißt. Die Reben werden in Südtirol bekanntlich lang, in Form von Laubengängen (sog.Pergeln") gezogen, während man sie Zn unfern Weinbaugebieten meist kurz hält. Ihre Trauben sind mittelgroß bis groß, schön blau und großbeerig. Die Beeren haben eine weiche, dünne Schale und angenehmen Geschmack, wodurch sie sich auch zum Kurgebrauch vorzüglich eignen. Dürkheim und Meran waren vor 50 Jahren wohl fast die einzigen Orte, in denen Trauben­kuren stattfanden.

In der Umgegend von Bozen wird in neuerer Zeit mit dem Anbau von eigentlichen Tafeltrauben begonnen; die bisher dort viel gebaute SorteGrauvernatsch" ist wohl als richtige Tafeltraube nicht anzusehen. Man pflanzt jetzt vielfach die früh reifende Seidentraube (Imo-Iiatiea)", weißenGutedel", auchGroß­vernatsch",weißgelben Muskateller", dort auchPfeffertraube" benannt. Aus den höheren Örtern wird noch vielfach derblaue Portugieser" auf den Markt gebracht. Auch in verschiedenen andern Gegenden Tirols beginnt man langsam mit der Heranzucht von Tafeltrauben, und die Lehranstalt in San Michele ist bestrebt, in diesem Sinn auf die Bevölkerung einzuwirken.

Während an allen bisher besprochenen Orten die Tafeltrauben einfach wie Keltertrauben kultiviert werden, finden wir in nörd­licheren Gegenden, aber auch in Frankreich, die Zucht am Spalier vorherrschen. Am großartigsten ist dies in Thomery bei Fontaine­bleau der Fall, wo der berühmteChasselas" (unserGutedel") gebaut wird, den man namentlich in Paris auf den Märkten in ungeheuren Mengen sieht. Dieser wird in eigentümlicher Weise ge­zogen. Man pflanzt ihn, indem man die jungen Weinstöcke in etwa 1^2 Metern Entfernung von den Mauern einsetzt, den Stamm um­legt und mit Erde bedeckt, um ihn zu kräftiger Bewurzelung zu veranlassen. Die Krone wird mittels eines nach ganz bestimmten Regeln ausgeführten Schnitts in Form wagerechter Kordons an der Wand hochgezogen.

Was aber noch viel wichtiger ist als die Kulturmethode, das ist die Aufbewahrungsmethode in Thomery. Während alle übrigen Freilandtrauben nur wenige Wochen im Handel sind, dauert der Handel mit Thomerytrauben bis zum Frühjahr hin, selbstverständlich dann zu viel höheren Preisen. Man schneidet dort, was schon Plinius empfohlen, ein Stück der Rebe mit 1 bis 2 Trauben ab, steckt es in ein enges Glas, ähnlich einem kurzen, starken Probierglas oder Reagensglas der Laboratorien, füllt dieses mit Wasser, dem eine Prise Kochsalz und etwas gepulverte Holzkohle zu­gesetzt sind, und hängt diese Gläser in Drahtringen oder dergleichen an Lattengestellen auf; durch Aufstellen von Gefäßen mit ungelöschtem Kalk sorgt man für trockene Luft in diesen Räumen. Über die Möglichkeit längerer Aufbewahrung von Weintrauben in Kühlhäusern liegen noch keine Erfahrungen vor.

Die größten und schönsten Tafeltrauben erzielt man bekannt­lich im Weinhause. England ist seit alter Zeit berühmt darin; dort ist man gezwungen, den Wein im Haus zu ziehen, da er im Freien nicht reift. Dieses Beispiel ist für alle Länder maß­gebend geworden, und auch bei uns sehen wir immer mehr Wein­häuser entstehen. Nirgends ist aber die Handels gärtnerische Seite der Kultur im Hause so ausgedehnt und dabei so einfach wie in Belgien, in der Nähe von Brüssel, in Hoeylaert, Saventhem, Overyssche und La Hulpe. Sie begann in Hoeylaert vor 40 Jahren; jetzt hat sie sich in der Umgebung ausgebreiiet, und nach der bei Gelegenheit der Lütticher Weltausstellung 1905 vom belgischen landwirtschaftlichen Ministerium herausgegebenen Schrift:Nobles sur l'Loouoniie rurale et UenseiZueiueiit aZ-rieole äe 1a LelZIciue" beträgt die Zahl der Weinhäuser daselbst 10000, davon drei Fünftel allein in Hoeylaert. Kommt man nach dort, so sieht man fast nichts als glitzernde Glasflächen in der hügeligen Gegend.

Man baut die meist 20 bis 25 Meter langen und 8 Meter breiten Häuser in der einfachsten Weise, ebnet oft nicht einmal den Boden, sondern stellt die Häuser schräg den Abhang hinauf. Sie werden meist von den Züchtern selbst gebaut und haben ge­wöhnlich Satteldächer mit einer Neigung von 45 Grad; unter den Fenstern wird der Wein hinaufgezogen. Im Innern finden sich mitunter Pfirsich- und Erdbeerkulturen.

Am allereinfachsten ist die Heizung. Während man sonst kost­spielige Warmwasserheizungsröhren in den Weinhäusern hat, liegen hier auf der Erde große, etwa 30 Zentimeter Durchmesser haltende glasierte Tonröhren. Die Feuerung befindet sich außerhalb; jedes Haus hat je nach Größe und je nachdem, ob es zur Früh- oder Spättreiberei benutzt werden soll, eine bis vier Heizungen. Es ist, kurz gesagt, eine veränderte Form der alten Kanalheizung, die trockene Luft gibt, und das ist für den Wein vielleicht gerade günstig. Der Gründer dieser berühmten Hoeylaertschen Kul­

turen ist Felix Sobie. Er begann 1865 mit einem Haus; jetzt hat die Firma 300 Häuser. Die Hauptsorten sind, wie in unfern Weinhäusern, der ,,Blaue Trollinger", dortFrankenthaler", in EnglandBlack Hamburgh" genannt; doch ist dieser jetzt fast ganz durchGros Calman" undBlack Alicante" verdrängt. Die Preise find auch in Belgien infolge der Einfuhr aus dem Süden und des hohen Zolles, den Frankreich auf Trauben gelegt hat, sehr gesunken; trotzdem werden immer noch mehr Häuser ge­baut. Neuerdings hat man auch in Holland mit ähnlichen Anlagen begonnen.

Die Aufbewahrung der Trauben geschieht in Belgien, obwohl es geheim gehalten wird, wohl im wesentlichen wie bei uns. Man läßt die Trauben an den sehr spät reifenden Sorten am Stock bis zum Frühjahr hängen und beläßt den Stöcken auch das Laub. Mäßiges Heizen bei kaltem Wetter und reichliches Lüften bei trocknem warmen Wetter, sorgfältiges Entfernen jeder faulenden Beere sind wohl die Hauptsache. Im Mai ist schon wieder der erste frisch ge­triebene Wein reif.