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zu malen. Diese beiden stehen dort, wo in einer ganz genau zu berechnenden Entfernung vielleicht der Betrachter des Bildes stehen kann. Man sieht die Gestalten des königlichen Paares in dem im Hintergrund des Ateliers hängenden Spiegel. Die kleine Infantin hat die Eltern begleitet und wird von ihren jugendlichen Hofdamen kindlich unterhalten. Auch ein paar Hofzwerge sind mitgekommen, um durch ihre Späße dem Königspaar die Langeweile des Modellstehens zu vertreiben. Im Hintergrund erscheint in der geöffneten Tür ein Kavalier, um den Dienern zu melden, wann der König den Aufbruch aus dem Atelier befiehlt. Eine farblose Wiedergabe läßt nur ein geringes Maß von der hohen Schönheit dieses Werks ahnen.
Sind in dieser Schöpfung Licht und Farbe die eigentlich Handelnden, so findet man in Rembrandts schönem Bild „Der Engel verläßt Tobias" außer diesen elementaren Kräften einen dramatischen Vorgang. Es hat keinen Maler gegeben, der gleichermaßen tief das Wesen der Farbe und der menschlichen Seele ergründet hätte wie Rembrandt. In seinen Bildern sind die künstlerische Idee und der gedankliche Inhalt restlos eines geworden.
Einen stärkeren Ausdruck für Bewegungen der Seele und des Lichtes als er hat niemals ein Maler erreicht. Er hat alles wagen können, und so ist es ihm auch gelungen, die Wirkung eines Wunders, wie es das Verschwinden des Engels vor der Familie des Tobias ist, mit einer Anschaulichkeit, mit einer Ausschöpfung des höchsten seelischen Ausdrucks zur Darstellung zu bringen, die niemals übertrofien werden kann. Die Bibel berichtet, wie die Familie nach dem Verschwinden des Engels drei Stunden am Boden gelegen und
gebetet habe. Als erster hat auf Rembrandts Bild der Vater des Tobias das Wunder begriffen. Er ist, da der Engel sich vor der Tür des Hauses, bis wohin ihn die ganze Familie geleitet, mit starken Flügeln in die Luft erhob, sogleich in tiefer Erschütterung, anbetend zu Boden gestürzt. Sein altes Eheweib ward nur heftig erschreckt, die Krücke entfällt ihrer Hand, sie
sinkt in Ohnmacht zur Seite. Des jungen Tobias Gattin begreift das ganze Geschehnis nicht und schlägt erstaunt die Hände zusammen. Und ganz wunderbar ist die Mischung von Erstaunen, Schreck und Unglüubigkeit im Gesicht des jungen Tobias, der nicht fassen kann, daß sein lieber, kluger Wanderkamerad wirklich einer war aus der himmlischen Heerschar. Diese unvergleichliche Darstellung, die Macht des Gefühls, die Gewalt des Ausdrucks läßt wohl die meisten übersehen, wie zwanglos schön die Familiengruppe aufgebaut, wie großartig und überzeugend das Fortfliegen des Engels geschildert ist. Man hört förmlich das Brausen seiner Flügel und hat die Vorstellung, daß er in einem Augenblick vor den: Thron des Allerhöchsten stehen wird. Und von dem Lichtscheu!, der ihn umwallt, fällt der hellste Strahl auf das Haupt dessen, der im tiefsten Herzen begreift, daß Gott an ihm und den Seinen ein Wunder getan.
Der Philosoph Schopenhauer gibt denen, die sich einem Kunstwerk nähern wollen, den Rat, vor dieses hinzutreten, wie vor einen Fürsten, vor den: man auch wartet, bis er spricht; also mit Ehrfurcht. Wer diesen: Rat folgt und seine Augen wacker gebraucht, wird nicht nur finden, daß sich ihm jedes Bild selbst erklärt, sondern wird auch zu der Erkenntnis der Mittel kommen, mit denen der Künstler seiner Empfindung und seinen Absichten Ausdruck verliehen hat.
Der Engel verläßt Tobias.
Gemälde von Rembrandt.
§
Die Tafeltrauben.
Von L. Witt mack.
uftig prangt Traube an Traube im Rebgarten! Doch nicht nur da, nein, auch weit, weit von ihrer Heimstätte labt uns, dank unserer ausgezeichneten Transportverhältnisse, ihr Anblick. Kaum ist die Zeit des Frühobstes vorüber, so sehen wir in Kistchen oder Körben die sonnigen Kinder des Südens zu verhältnismäßig billigen Preisen angeboten. Italien beginnt mit dem Versand, dann folgen Tirol und Ungarn, und endlich kommen, wenngleich weniger, auch deutsche Trauben auf den Markt, namentlich solche aus der Pfalz.
Die gesegnete Pfalz liefert vor allem Kurtrauben, besonders Bad Dürkheim ist seit langen Jahren deswegen berühmt. Dürkheims Weinberge umfassen mit den angrenzenden Gemarkungen — Forst, Deidesheim usw. — eine Fläche, so groß wie das ganze Weinbaugebiet im Rheingau! Die meisten Trauben werden freilich zu Wein verarbeitet, nur ein kleinerer Teil dient als Tafelobst. Versandt werden als Tafeltrauben fast nur weiße, und zwar
beinahe ausschließlich die Sorte „Österreicher", auch „Sylvaner", in Deidesheim „Franken" genannt. Das ist die eigentliche Kurtraube (Einkaufspreis durchschnittlich 24 Mark für 50 Kilogramm). In Neustadt a. d. H. ist der Versand in dem billigeren „Gutedel" (etwa 16 Mark für 50 Kilogramm) noch stärker. Ihm fehlt aber die Säure des „Österreichers". Von blauen Trauben wird nur der „blaue Portugieser" als billige Marktware waggonweise von Freinsheim und Weisen heim am Sand, nahe Dürkheim, nach den rheinischen Industriestädten, namentlich für die Arbeiterbevölkerung, verschickt. Doch Portugiesertrauben werden erst gekauft, sobald die italienischen Trauben vom Markt verschwunden sind; letztere kommen etwa ein Drittel teurer zu stehen. In Freinsheim kosten die „blauen Portugieser" nur 11 Mark für 50 Kilogramm; in Köln stellt sich dann das Pfund auf 15 bis 16 Pfennig. In einem großen Warenhause in Berlin kosteten Kisten mit 8 V 2 Pfund schöner Italiener Trauben zeitweise freilich nur