Issue 
(1906) 39
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Die Verklärung Christi.

Gemälde von Raffael.

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Johannes und des Paulus. Der Ausdruck der einzelnen Köpfe ist so gegensätzlich, daß man gemeint hat, Dürer habe in ihnen zugleich die vier Temperamente darstellen wollen, was aber nicht sehr wahrscheinlich ist, weil Petrus den Phleg­matiker abgeben müßte. Dürer hat sich aber in seiner Kunst immer viel zu eng an die Tatsachen gehalten, als daß man glauben dürfte, er habe, den vier Temperamenten zuliebe, dem Petrus einen andern Charakter geben wollen als den histo­rischen. Außerordentlich wirksam ist von Dürer der Gegen­satz der die Worte der Schrift in sich ausnehmenden und sie bedenkenden und der für Christum streitenden Apostel als künstlerische Idee festgehalten worden. Hierauf und auf der ruhigen, einfachen Größe der Erscheinungen beruht die Schön­heit dieses letzten und reifsten aller Dürerwerke. Auf der einen Tafel der milde, jünglinghafte, schlichte Johannes, hinter ihm der müde und ergebene Petrus, beide mit gesenkten Augen. Auf der zweiten Tafel der kraftvolle energische Paulus, mit dem seltsam zwingenden Blick und der stürmische, leiden­schaftliche Markus mit den wilden Augen und den aus dem dunkeln Bart blitzenden Zähnen. Unvergeßliche Erscheinun­gen, diese heiligen Männer!

Des göttlichen RaffaelVerklärung Christi" (Trans- siguration") ist in einer farblosen Nachbildung zweifellos schöner als im Original, das, durch Schülerhände vollendet, der Harmonie der Farbe entbehrt, wenigstens in der schreiend bunten unteren Hälfte des Bildes. Auch das ungeübteste Auge wird bemerken, daß zwischen der oberen und unteren Bildhälfte kein Zusammen­hang besteht, nicht einmal ein loser. Da ein Meister wie Raffael nichts ohne Grund tut oder läßt, muß man annehmen, daß er hier einen scharfen Kontrast gewollt hat, um den Unterschied zwischen der himmlischen Ruhe und Seligkeit oben und der irdischen Bedrängnis und Not unten recht fühl­

bar zu machen. So herrlich einzelne Figuren in dem unteren Teil des Bildes mit der Darstellung der Geschichte des be­sessenen Knaben aus dem Matthäusevangelium auch sind Z. B. die prachtvoll bewegte der knieenden Frau der eigentliche künstlerische Gedanke, der das Bild beherrscht, ist in der oberen Verklärungsszene zu suchen. Hier ist es Raffael gelungen, eine bis ins letzte vollendete Vorstellung von der Aufhebung aller Erdenschwere in der Erscheinung des in seine himmlische Heimat aufschwebenden Heilands zum Ausdruck zu bringen.. Christus ist die Ouelle und der Mittelpunkt des Lichts, und wie von seiner höheren Existenz übermächtig, willen­los angezogen, folgen ihm Moses und Elias. Und um die Befreiung von den Fesseln des Irdischen noch eindrucksvoller zu machen, läßt Raffael die Zurückbleibenden Jünger auf dem Erdboden liegen, dem alle Kreatur verhaftet ist. Zugleich bildet die Gruppe der Jünger zusammen mit den aufschweben­den Gestalten kompositionell einen Kreis, der symbolisch den Begriff der Vollkommenheit ausdrückt.

Während also bei Raffael die schöne Linie der Ehrgeiz des Künstlers ist, geht der große Spanier Diego de Silva Velas- quez darauf aus, die Wirklichkeit von ihrer malerischen Seite zu fassen. Niemals hat ein Maler die Bildfläche mit dem immateriellen Reiz des naturwahren Tons wirkungsvoller de­koriert als er. Man sehe seineMeninas" (Hofdamen) an. Als Linienkomposition betrachtet, sind sie nichts. Hier bringen allein Licht und Farbe Rhythmus und Konzentration in das Bild. Scheinbar sind alle dargestellten Personen mit der gleichen Wichtigkeit behandelt. In Wirklichkeit bildet die kleine Infantin Margarita, die Tochter Philipps V., den Mittelpunkt des Bildes; auf sie fällt das stärkste Licht und gibt den Maßstab für die Wichtigkeit der übrigen Persönlichkeiten. Und die Verteilung des Lichtes im Raum ist so fein, daß es alle Erscheinungen zusam­menführt und man das ganze Bild mit einem Blick zu über­sehen vermag. Velasquez hat diese Wirkung auf so diskrete Weise erzielt, daß man meint, er habe nichts getan, als die Wirklichkeit wiedergegeben. Und doch ist dieses scheinbar so natürliche Bild eines der kompliziertesten Kunstwerke, die es gibt. Schon die Situation ist so ungewöhnlich wie möglich. Der dargestellte Raum ist des Malers Atelier. Er steht vor einer großen Leinwand und ist dabei, den König und die Königin

Meninas.

Gemälde von Velasquez.