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mit einem so jähen Ruck abbrach. Aber er konnte sich doch schließlich nicht auf den Marktplatz stellen und durch den Ortsdiener ausklingeln lassen, daß in diesen: Fall die Vorsicht wirklich der bessere Teil des Mutes war? Daß er im Allerinnersten seiner tapferen Soldatenbrust die böse Angst hatte, all seine stolzen Entschlüsse würden wie Spreu im Wind zerfliegen, wenn er noch einmal für ein paar kurze Stunden in die gefährliche Nähe der Rotblonden und in den Bannkreis ihrer dunklen Augen geraten müßte. Und daß also in diesem Fall wirklich nur ein Sieg im Rückzugsgefecht möglich wäre ...
Nach den ersten paar Zeilen jedoch atmete er erleichtert auf. Gott sei Dank, die liebenswürdige Einladung war unter Hinweis auf die am nächsten Tag flattfindende Besichtigung abzulehnen, und für die angeblich selbstgepflückten Erdbeeren konnte man sich mit einem Rosenstrauß revanchieren und der Bemerkung, daß man sich nach diesen „anmutigen Kindern Floras" ungefähr ebenso oft gebückt hätte wie die holde Spenderin des Körbchens nach den roten Erdbeeren ... zu töricht eigentlich, ihm einreden zu wollen, Alix Prahlstorff würde sich für ihn auch nur ein einziges Fleckchen an die schneeweißen Fingerchen machen . . .
Aber was, zum Teufel, ging ihn denn eigentlich dieser
Herr — wie hieß er doch gleich? — ja richtig, August
Schmielke an, der angeblich Heinrichswalde kaufen wollte?
Und weshalb in aller Welt schrieb ihm Frau von Ouessen-
dorpf über diese höchst gleichgültige Persönlichkeit einen so breiten Sermon, fast drei Seiten voll? . . .
Der brave Ochotny mit seinem gutmütigen Masurengesicht trat ins Zimmer, stand stramm mit den Händen an der Hosennaht: ,,'err H'Oberleutman und feste 'öchste Zeit zu Mittach. Swonik, wollt ich saggen, Kirchenturm hat schon geläutert, und 'err H'Oberleutman werden wieder bezallen miessen weggen Verspättung zwanzig Fenik ..."
„Scher' dich raus," schrie ihn Henner an, „und ich esse heut nicht im Kasino!"
Der brave Ochotny machte mit verdutztem Gesicht kehrt, denn ein so unverdienter Anschnauzer war ihm schon seit langen Monaten nicht mehr widerfahren, sein Herr aber ließ sich schwer in den nächsten Stuhl fallen und sah sich wie hilflos im Zimmer um. Mechanisch wanderten seine Blicke an den Wänden entlang, über die zahllosen Rehgehörne, die Sportbilder und Riedingerschen Stiche, die Silbertrophäen aus siegreich gerittenen Rennen; ganz blöd und verschlagen war ihm zumute, keinen klaren Gedanken im Kopf, nur allerhand zusammenhanglose Bilder, in deren Mittelpunkt die Rotblonde stand, nach der jetzt ein anderer die begehrliche Hand ausstreckte. Zuerst ein dumpfes Wehegefühl danach, dann aber, ganz jäh einsetzend, eine rasende Eifersucht, die ihn von Kopf bis zu Füßen schüttelte und rote Nebel vor seine Augen rief. Der Pfeil aus Ouesfendorf hatte gesessen, Henner hatte mit einem Male begriffen, daß in diesem anscheinend so humoristischen Brief die ernsthaftesten Dinge zwischen den Zeilen zu lesen waren!
*
Die Familie des Oberleutnants Hartung saß beim Mittagsessen, Frau Annemarie war gerade dabei, ihrem Ältesten die Notwendigkeit des Suppeessens mit schlagenden Gründen zu demonstrieren, als der Jäger mit der Meldung das Zimmer betrat: „Der Herr Oberleutnant von Sacrow lassen fragen,
ob die gnädige Frau und der Herr Oberleutnant ..."
„Schon gut und geschenkt", unterbrach ihn der Hausherr, stand auf, ohne die Serviette aus dem Kragen der Litewka zu haken, und trat in die zum Vorplatz führende Tür. „Guten Tag, Henner, und seit wann so förmlich? Komm rein und iß mit, wenn du Hunger hast!" Und Frau Annemarie rief lachend hinüber: „Ja, und Sie treffen's ausgezeichnet, Dickbohnen mit durchwachsenem Speck! Ich machte mir schon Borwürfe, daß ich vergessen hatte, Ihnen durch meinen regierenden Gatten sagen zu lassen, daß bei uns heute Ihr Leibgericht ..." Sie brach ab und sah ihn betroffen an — „Ja aber, was ist Ihnen
denn, Henner? Hat Ihr Kompagniechef sich vielleicht gesun gemeldet, drei Tage vor der Besichtigung?"
Henner zwang sich zu einem Lächeln. „Gott sei Dartz nein, er ist leidender denn je, seit der Kommandeur ihm bl einer Krankenvisite erzählt hat, wie er über den ,geradez meschanten^ Parademarsch der Zweiten denkt!"
„Na denn Ouesfendorf?" forschte Frau Annemarie weitem
„Ja, aber erst nach Tisch", sagte Henner und ließ sü neben seinem Busenfreund Wolfs nieder, den sein Eintritt vr dem letzten Beweismittel seiner Frau Mama errettet hatb und fing an zu essen wie ein Soldat, der einen reichlich gl messenen Vormittag voll Dienst hinter sich hatte. Und ma führte gleichgültige Gespräche, bis die bei Tisch aufwarterü Babett den Herren den Kaffee gebracht — einen Extraluxw dessen Anordnung bei währender Tafel selbst dem „regierende Gatten" entgangen war — und mit den beiden Kleinen do Zimmer verlassen hatte. Da erst beugte Frau Annemarie si> vor und legte Henner die kleine Hand auf den Arm. „N also, jetzt schütten Sie endlich Ihr Herz aus, lieber Freun und was hat es denn gegeben?"
„Da, lesen Sie mal erst, Frau Annemarie, ehe w weiter reden", und er griff in den Ärmelaufschlag sein« Überrockes, reichte ihr den Ouessendorfer Brief hinüber. D Hausherr aber zuckte mit den Achseln. „Ach so, deswegl die Aufregung? Die Einladung Zu übermorgen haben w
auch gekriegt, und du wirst sie natürlich ebenso wie wir ü lehnen: Lu viel Dienst, gnädigste Frau, und ergebe:
dankend Hildebrand/ Im übrigen aber hatte ich seit ac Tagen immer angenommen, du hättest mit dieser Ouesfendorf Angelegenheit endgültig Schluß gemacht?"
„Mir ist so, Franz, als sollte sie jetzt erst recht losgehei Oder sie war überhaupt nie zu Ende, ist jetzt nur in e neues Stadium getreten, ein Stadium, in dem jedes vernünfti Denken aufhört, nichts als einen Knüppel in die Faust rn dem Kerl, wenn er kommt, entgegenreiten, um ihm ... n ist gut!" Henner brach ab, warf sich im Stuhl zurück ui starrte mit zusammengebissenen Zähnen zur Decke. Der Hau Herr aber sagte begütigend: „Na, na, man immer pomaly n die jungen Pferde", und trat hinter den Stuhl seiner Gatti um zur Vereinfachung des Verfahrens den unheilvollen Br mit ihr Zugleich zu lesen. Als Frau Annemarie die let Seite umgewendet hatte, sagte er halblaut „Ah, pfui Deuwel vor sich hin und trat zum offenen Fenster hinüber, um s seine strohgelbe Sechspfennigzigarre anzustecken, deren Gen in Gegenwart der Gattin nur unter Anwendung besonder Vorsichtsmaßregeln gestattet war. „Willst auch eine, Henne Aber müßtest dich schon neben mich ans offene Fenster stellen . .
„Nein, danke, Franzel. Aber wenn die verehrte Gnädi es gestattet, drehe ich mir eine Zigarette", und er holte ! wappengeschmückte Dose mit dem goldgelben, duftenden Tab aus der Tasche, fertigte mit geübter Hand eine Zigarette. A er den ersten vollen Zug bis tief in die Lungen hinun getan hatte und den bläulichen Rauch zwischen den ha! geöffneten Zähnen wieder ausströmen ließ, wandte er sich die Hausfrau, die noch immer mit nachdenklichem Gesicht den Brief sah: „Nun und, Frau Annemarie?"
„Ja, lieber Henner, schwer zu sagen. Das kann ei endgültige Absage sein oder aber auch die Mahnung: we du nicht endlich sprichst, dann kann ich nicht länger auf d warten. Ich aber möchte Ihnen Zum erstenmal keinen positir Rat geben, denn ich fürchte, ich könnte in diesem Fall ni unparteiisch genug sein. Wenn man nämlich will, kann m aus dem Brief etwas wie ein Versprechen herauslesen, all Hand gute Vorsätze aber — nehmen Sie mir's nicht üb lieber Henner, ich vermag nach dem Besuch damals ni recht mehr daran zu glauben!"
„Übelnehmen, Frau Annemie?" Er lachte bitter a „Ich glaube ja selbst nicht daran!" Der Hausherr aber t näher, nachdem er seine Zigarre vorsorglich auf dem Fenst brett deponiert hatte. „Einen Augenblick, Henner, ehe