Heft 
(1906) 43
Seite
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Henner Zuckte mit den Achseln.Solche Unbeträchtlich­keiten! Und, so lange ich nicht weiß, woran ich bin, weshalb soll ich mir da unnütze Opfer auferlegen?"

Unbeträchtlichkeiten und unnütze Opfer? . . . Siehst du, mein Junge, das war das richtige Wort!" Und der Ober­leutnant Hartung reckte seine gedrungene Figur in die Höhe. Also ,Unbeträchtlichkeiten' gibt es überhaupt nicht, wenn man dem andern seinen ernsten Willen zeigen will, und ^unnütze Opfers Ja, mein Junge, wie anders würde die ganze Chose aussehen, wenn du zu Alix Prahlstorff sagen könntest: Gnädige Komteß, ich hege nicht nur allerhand sparsame Vorsätze, sondern ich habe auch schon, seit ich weiß, daß ich ohne Sie nicht leben kann, mir alles abgewöhnt, was auch nur ein bißchen nach überflüssigem Luxus schmeckte. Die beiden Gäule sind verkauft, dreitausend Mark plus ge­macht auf meine Lüpperschulden, mittags und abends trink ich je ein Gläschen Maldeiner Bier, wie unsere ,Spartaner', die unbekümmert mit fünfzig Mark Zulage auskommen, ver­kneif' mir die teuern Zigaretten e tutti cxuanti und zahle feste an dem Rest meiner Schulden, damit wir unsere Wirtschaft, unbekümmert um alle Klintzewer Onkels, aus eigenem und

mit einem reinen Tisch anfangen können. Siehst du, Henner, wenn du das getan hättest, dann könntest du heute Her­kommen und schimpfen, ich aber würde neben dir stehen und sagen: 's ist recht, und kein Wort zu hart für so ein ver­wöhntes, keines handfesten Entschlusses fähiges Frauenzimmer!"

Henner lachte bitter auf.Warum hast du mir das

nicht vor Wochen gesagt, Franz? Vielleicht wäre dann manches anders geworden!" Und mit einem Aufatmen fügte er hinzu: Aber vielleicht ist's noch nicht zu spät!" Frau Annemarie aber sagte eifrig:Ja, ganz recht, und ich an Ihrer Stelle

würde noch heute abend nach Ouessendorf reiten. Mein Gott, ich kann mich ja auch irren, wie soll man denn nach einer kurzen Viertelstunde einen Menschen beurteilen?" . . . Und so sprach sie noch eine ganze Weile lang tröstliche Worte, an die sie selbst im Innersten nicht glaubte, und nur, weil sie

ein plötzliches Bangen überkommen hatte vor dem trostlosen

Gesicht da drüben, in dem die blauen Augen mit einem seltsam hohlen Feuer leuchteten . . . Der Hausherr aber war auf und ab gegangen, hatte das glattrasierte Kinn nach seiner Gewohnheit in der Hand gescheuert, als überlegte er, ob's nicht doch irgend eine Hilfe, einen Mittelweg gäbe. Dann aber blieb er stehen und hob den kurzgeschorenen Kopf.Nein, Henner, und laß es. Käm' ja doch nichts Gescheites dabei heraus, denn Entschlüsse, die nicht aus Eigenem gewachsen, sind für die Katz, welken beim ersten kalten Wind. Und ich Hab' dir das eben ja auch nicht gesagt, um euch zusammen­zubringen; im Gegenteil, an die Komteß Prahlstorff glaube ich noch weniger! Zu altes Blut, ihr beide, zu lange in er­erbtem Wohlstand aufgewachsen, Zu lange ohne jede Sorge um den Erwerb, als daß ihr euer Angeborenes und An­erzogenes mit einem Ruck hinter euch werfen könntet. Tausend spitze Steinchen auf dem langen Weg, an denen ihr euch die Füße wund stoßt, weil ihr um mich ganz trivial aus­zudrücken von euren Vorfahren her keine derben, doppel- sohligen Stiebet auf den Weg gekriegt habt. Eure Entwicklung ist eben nach einer andern Richtung gegangen, tausend scharmante Eigenschaften habt ihr vielleicht . . . Die Komteß Prahlstorff ist sicherlich das Ideal einer, geistvollen, gastfreien und amüsanten Schloßherrin; du der geborene Truppenführer, listenreich und großzügig, der Hunderttausende vielleicht ebenso zu einem schlagfertigen Instrument in seiner Hand zu ver­sammeln versteht wie eine kleine Kompagnie aber ent­falten müßt ihr euch können nach der Richtung eurer Mitgift hin, ohne Gewichte an Füßen und Flügeln. Und ein selt­sames, zweckwidriges und fast höhnisches Spiel der Natur scheint es mir, euch beide zusammenzubringen und über einen Weg zu schicken, auf dem ihr erlahmen müßt, weil sich's mit ungeübten Füßen nicht marschieren läßt . . . also, sei ver­nünftig, Henner, gib auf, was sich nicht zwingen läßt!"

Frau Annemarie hob, ein wenig gekränkt, den zierlichen Kopf mit der schweren Haarkrone.Na, erlaube mal, Franz!

Die Komteß Prahlstorff ist doch nicht aus Marzipan oder

etwa ,Die Prinzessin auf der Erbse' aus dem Märchen! Und, was mir nicht schwer gefallen ist, wird sie doch wohl auch fertig bringen?"

Der Oberleutnant Hartung schlug ärgerlich die Hände auf dem Rücken zusammen.Ihr habt mich nicht verstanden, ihr beide! Du stammst aus einem alten Kaufmannsgeschlecht,

in dem bei allem erworbenen Reichtum immer noch scharf gerechnet wurde, die Komteß aber ... na also, ihr ver­storbener Vater hat achtundzwanzigtausend Morgen so gründlich durchgebracht, daß seiner Tochter nicht einmal mehr die drei Hände voll Erde gehörten, die sie ihm in die Grube nach­warf. Daß Henners Vorfahren aber sich durch besondere

Sparsamkeit ausgezeichnet hätten, wird er selbst nicht be­haupten ... na, und Minus mal Minus gibt nur in der Arithmetik Plus, niemals aber im wirklichen Leben. Aber, um endlich auf des Pudels Kern zu kommen, was frommt es, daß wir hier mit Wenn und Aber theoretisieren, in praxi wird dieser pp. Schmilek oder Schmielke geheiratet! Und ich an deiner Stelle, mein Junge, würd' mir zu schad' sein, die unwürdige Rolle zu spielen, die dir in dem verflucht gescheiten Brief da zugemutet wird!"

Henner duckte den Kopf und sah den Freund unsicher an, fast als fürchtete er sich davor, daß dieser einen Gedanken in Worte fassen könnte, der aus dem untersten Grund des Miß­trauens aufkriechend, seine dürren Finger ihm ums Herz krallte. . . Der Hausherr aber trat zu ihm, legte die Hand auf seine Schulter.Ja, ja, mein Junge, es ist so. Und ich an deiner Stelle würde mir wirklich zu schade sein, für diesen Herrn Schmielke den Scharfmacher, den Anreißer zu spielen ..."

Franz!" wollte der andere aufschreien, aber der Jäger des Hausherrn trat ins Zimmer, pflanzte sich mit hörbarem Ruck neben der Tür auf.Herr Oberleutnant, in zehn Minuten tritt die Kompagnie auf dem kleinen Exerzierplatz an, und Herr Oberleutnant haben die Aufsicht!"

Gut, ich danke!"

Der Jäger, zum Nachmittagsdienst schon im Drillichanzug mit umgeschnalltem Hirschfänger, machte kehrt, und der Haus­herr schritt zum Fenster hinüber, um sich für den Gang nach dem Exerzierplatz den Stummel seinerStrohgelben" wieder anzustecken.Also es geht wieder los mit dem ,lieber Dienst'. Na und was hast du dir eigentlich für heute nach­mittag angesetzt, Henner?"

Geräteturnen, Instruktion, Einzelexerzieren und zun Schluß Appell mit der Besichtigungsgarnitur. Es müssen nock etliche Kragen verpaßt werden, die Kerls sind seit dem Früh­jahr zu mager geworden!"

Na, dann ist ja auch für deine Zerstreuung reichlich gesorgt Und adieu, Kinder, meine Meinung kennt ihr ja jetzt. Die Medi zinen haben das so an sich, daß sie meistens bitter schmecke: - wenn sie danach auch nur wenigstens helfen wollten!"

Frau Annen:arie, die ihrem Gatten auf den Flur hinam das Geleit gegeben hatte, trat wieder ins Zimmer zurück, i: dem beweglichen Gesichtchen einen Zug ernsthafter Sorge Nun, und?" fragte sie leise.

Henner war aufgestanden, seine Stimme klang heiser )Undß Frau Annemarie? Ja, was soll darauf noch kommen' Er hat ja ganz recht, also: Schluß jetzt auch und aus! Aus!'

Da schrie sie laut auf, denn in seinen Worten glaubte si die Bestätigung dessen zu hören, was der abschiednehmende Gatt vor wenigen Augenblicken als schwere Befürchtung ausgesprochen hatte:Um Gottes willen, Henner! Und schämen sollten Si sich, an eine solche Feigheit überhaupt nur zu denken!"

Feigheit, Frau Annemarie? Na, wie man's nehme will! Aber das ist, mit Ihrer gütigen Erlaubnis, Unsinn, ic denke nicht daran. Wahrhaftig nicht", beteuerte er.

Na ja," sagte sie und bemühte sich, ihrer Stimme eine recht leichtfertigen, sorglosen Ausdruck zu geben,eigentlic