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sind wir doch furchtbar töricht! Erörtern lang und breit abgetane Geschichten . . . Was geht Sie denn noch an, ob und wen die Komteß Prahlstorff heiratet, nachdem Sie doch endgültig zu der Einsicht gekommen sind ..."
„Ja, daß ich ein Narr war, Frau Annemarie, der sich einbildete, mit dieser Einsicht wär' alles zu Ende! Wenn Narren mit Vernunft zu heilen wären . . . was glauben Sie wohl, Hab' ich in diesen Tagen mir alles vorräsoniert! Und ein plötzlich am Horizont auftauchender ,anderer^ zeigt einem, daß Welt und Menschen von allem möglichen regiert werden, nur nicht von der sogenannten Vernunft! . . . Wollen aufhören, Frau Annemarie, das letzte von dem, was da innen brennt, darf ich vor Ihren: weißen und keuschen Seelchen ja doch nicht enthüllen ..."
In ihre mitleidigen Augen traten Tränen, sie griff nach seiner Hand und trat ganz dicht an ihn heran. „Henner, Sie wissen, daß ich Sie mehr fast liebe, als einem Freund und Bruder eigentlich zukommt."
„Ich weiß es, Frau Annemarie. Würde ich Sie sonst mit meinen Sorgen quälen?"
„Also wollen Sie mir versprechen, daß Sie zu mir kommen, ehe sich ... na also, ehe sich irgend etwas entscheidet?"
„Ich verspreche es!"
„Auf Ihr Wort?"
„Auf mein Wort!"
„Also dann ist's gut, Henner", und sie schüttelte ihm kräftig die Hand. Auf der Schwelle wandte er sich noch einmal um: „Frau Annemarie ..."
„Henner?"
„Also nur ein einziges Fünkchen von Ihnen in die Seele der andern . . . aber Schluß jetzt, ich bin wirklich ein Narr . . ."
Sie sah ihm nach, wie er langsam und müde über die
Straße nach seiner Wohnung schritt, eine ganze Weile lang, bis die quellenden Tränen ihr den Blick verdunkelten. Wenn sie nur helfen könnte irgendwie, all' ihren gekränkten Stolz wollte sie ja vor der andern hingeben, wenn sie nur helfen könnte . . . Und plötzlich richtete sie sich auf, schritt zur Tür und drückte auf die Schelle.
„Madam befehle?"
„Rasch, Babett, spring zum Fuhrhalter Möller 'nüber, er sollt' mir zu halb vier 'e Chäsewägelche nach Ouessen-
dorf parat halte. Aber sag's ihm glei', wenn er's nit träs-don nmrelw mache tät', würd' ich den Krümperwage
preferiere!" (Fortsetzung folgt.)
(Schluß.)
erzog Karl hatte seinen Schutzherrn, den Fürsten Metternich, in Wien besucht. Der Empfang war glänzend wie immer, aber der Staatskanzler blieb sehr zurückhaltend in bezug auf die Hoffnungen und Wünsche des jungen Herzogs. Er teilte zwar dessen Haß gegen den Grafen Münster, denn dieser hatte in sehr herausfordernder Weise die ganze Metter- nichsche Politik verurteilt; doch der Staatskanzler sagte dem jungen Fürsten unverhohlen, er habe ihm als Freund manches versprochen, aber als österreichischer Premierminister und in seiner führenden Stellung beim Deutschen Bundestag könne er seine Versprechungen nicht halten. Er hatte in Herzog Karl eine schöne Seele entdeckt und empfand deshalb eine persönliche Zuneigung zu ihm; aber dessen wildem Gebaren konnte er doch nicht den kaiserlich österreichischen Segen geben. Willkommen war es ihm zwar, wenn die einzelnen deutschen Bundesstaaten miteinander haderten: da fand der Deutsche Bund Anlaß, ein Lebenszeichen zu geben und seine Oberhoheit zu beweisen, wenn er auch in der Regel seine Entscheidungen auf die lange Bank schob. Für Metternich war Herzog Karl nur ein Stein auf den: Brett seiner Politik, den er nicht gern verlieren mochte, den er mit Vorteil hin und her schieben konnte; aber wenn der Herzog zur Entscheidung drängte, wurde er ihn: unbequem.
Jetzt lag beim Bundestag eine Beschwerde Braunschweigs über die Eingriffe und Intrigen Hannovers, eine Beschwerde Hannovers über die Beleidigungen und Beschimpfungen von seiten Braunschweigs. Für das letztere rückhaltlos Partei zu ergreifen, durfte der allmächtige Gebieter des Deutschen Bundes doch nicht wagen; da wäre er auf zu lebhaften Widerspruch gestoßen; das beste schien zunächst, die Entscheidung hinauszuzögern.
Karl liebte das Leben an der blauen Donau; da gab es ja geistreiche Leute, wie die rechte Hand Metternichs, Gentz, mit denen sich vortrefflich tafeln und zechen ließ, und das Ballett, wo Gentz seine Fanny Eisler gefunden hatte. Und die Gespräche mit diesem Staatsmann — wie entzückend! Unbeschränkte Herrschergewalt und unbeschränkter Sinnengenuß — das war ein Sirenenlied für das Ohr des jungen Gewalthabers.
Mißgestimmt kehrte er nach Braunschweig zurück; da fehlt e doch der große Stil des Lebens; er konnte hier ein „Capua der Geister" nicht aus der Erde stampfen; er nannte die Stadt ein langweiliges Nest und fragte alle Fremden, wie sie es hier aushalten könnten.
Von Rudolf von Gottschall.
Er vertrieb sich also die Zeit, so gut es gehe:: wollte; neben seinen andern Passionen hatte er diejenige, Schätze zu sammeln; er war im höchsten Grad geldgierig geworden. Er brauchte Geld, seine Schützlinge und Günstlinge brauchten Geld, seine Zerstreuungen wurden immer prunkvoller und kostspieliger. Doch er war nicht bloß Verschwender, wo es sein Vergnügen galt; er war auch ein Geizhals, der Schätze sammelte, ein Schatzgräber, der überall mit seinem Spaten die Erde aufwühlte und sein gutes Braunschweiger Land nach Kräften plünderte.
Da fand er aber in seinem Kabinettsrat Wolsshagen nicht mehr ein willfähriges Werkzeug; mit edlem Freimut protestierte dieser gegen die Eingriffe in das Recht der Stände, gegen die Willkür, womit sich der Herzog der Überschüsse der Dominial- und Kammerkasse bemächtigte, Dominialgüter öffentlich versteigerte, Kammergefälle rastch und wohlfeil ablöste, alles ohne die Zustimmung der Stände.
Der Herzog war sehr ungnädig über solchen Widerspruch; er suchte für die gewandte stilistische Einkleidung solcher Gewaltmaßregeln eine andere Hilfe. Da war der gefügige und begabte Schreiber Bitter, der alles in der Ordnung fand, was Durchlaucht wünschte und diktierte. Wolsshagen aber wollte der Herzog nicht entbehren; es war immerhin ein überlegener Kopf, und es gab noch ein großes neutrales Gebiet, wo der Herzog die Fähigkeiten des Mannes verwerten konnte.
Doch immer mehr wurde Wolsshagen in das feindliche Lager gedrängt; die Attentate auf das Vermögen des Staates empörten ihn, von Tag zu Tag verringerte sich seine persönliche Sympathie für den jungen Feuerkopf, den Sohn und Enkel ruhmreicher Ahnen. Seine ganze Familie gehörte zur rebellischen Aristokratie, die anfing, dem Herzog auf Tod und Leben den Krieg zu erklären.
In Wolsshagen fand der aufsässige Adel Braunschweigs, an dessen Spitze Graf Veltheim und Herr von Cramm standen, von jetzt ab einen hochbegabten und gewandten Vorkämpfer. Eigenen schmachvollen Gesinnungswechsel brauchte er sich nicht Zum Vorwurf zu machen: er hatte im Kabinett des Herzogs gegen dessen ungesetzliche, willkürliche Maßregeln stets protestiert, und wenn er diesen Protest jetzt vor allen: Volk und im Einklang mit dem frondierenden Adel erhob, so war dies kein Widerspruch gegen seine Vergangenheit.
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Lin Bild aus deutscher Geschichte.