Heft 
(1906) 43
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Seiner gewandten Feder wurde von den Ständen die Ab­fassung der Eingabe an den Deutschen Bund anvertraut, in dem dieser ersucht wurde, das Patent vom 10. Mai 1827 für ungültig zu erklären und den Herzog zu dessen Zurücknahme zu verurteilen. Hannover, mit dem sich der Adel durch seine Sendboten, die auch in Berlin anklopften, verständigt hatte, richtete die gleiche Beschwerde an den Deutschen Bund. Der Herzog erfuhr davon, er wurde aufs äußerste aufgeregt, miß­trauisch selbst gegen seine Getreuen, in denen er auf einmal Spione sah. Mit Mühe konnte ihn die Gräfin Görz beruhigen, aber er begann zu wüten auch gegen Witt von Döring, dessen geheime Beziehungen zum Fürsten Metternich er kannte, als die Entscheidung des Bundes einlief, die den Beschwerdestellenden recht gab und die Zurücknahme des Patents anbefahl.

So hatte ihn sein Schutzengel im Stich gelassen; ja Fürst Metternich hatte ihn in einem wohlwollenden Schreiben vor einer Palastrevolution gewarnt, die sich im Handumdrehen machen ließe; er würde dann blutige Tränen weinen, aber helfen könne er ihm nicht. Das war der mächtigste Mann in Europa, das war sein Freund, der bei der Fehde mit Hannover die Hand über ihn gehalten hatte und jetzt ließ ihn diese Allmacht im Stich und gab ihn seinen Feinden preis! Doch er bot ihm Trotz wie aller Welt, er kümmerte sich nicht um den Bundestagsbeschluß; mochten die Frankfurter Pagoden mit ihren Köpfen wackeln er blieb auf seinem Kopf bestehen.

Da geschah das Unerhörte der Bundestag raffte sich zu einem energischen Vorgehen auf; die Bundesexekution gegen Braunschweig wurde beschlossen und dem Königreich Sachsen übertragen. Ein Truppenkorps von 6000 Mann hatte sich bereits in Marsch gesetzt, als Herzog Karl aus der Not eine Tugend machte und sich dem Beschluß des Bundes fügte.

Seine Erbitterung darüber hatte ihn ganz verstört, seine bereits wilden Launen bis zum Unerträglichen für seine Um­gebung gesteigert. Oft wechselte er seine Minister; als er einen Herrn von Weltziehn aus Mecklenburg für ein Portefeuille berufen hatte und dieser ablehnte, drückte er ihm seine Verwunde­rung darüber aus mit den Worten:Oh, das Regieren ist leicht! Ich habe es in einer halben Stunde gelernt!"

Die Hofchargen, die bei Herzog Karl die Höflingsrolle spielten, hatten keinen leichten Stand. Ob sie auch über den Stock springen mußten, wie eine dunkle Sage erzählt, mag dahingestellt bleiben, aber zu allerlei Possenreißereien ihres Herrn und Gebieters mußten sie sich hergeben; er ließ dem einen den Backenbart fuchsrot, dem andern blitzblau färben und trieb allen möglichen Unfug mit seinen Getreuen.

Doch das waren harmlose Vergnügungen, der Herzog hatte auch seine tyrannischen Anwandlungen. Zwar was man von seiner Giftmischerei erzählt, der ja dieser oder jener zum Opfer gefallen sein sollte, rührt wohl nur von seinen bedenk­lichen Passionen her; man fand ja später ein Lieblings­kästchen von ihm vor mit verschiedenen Giftsorten und mit Portionen von ^ollavlg die in kleine Gläser ein­

geschmolzen waren, und seine Lieblingsgespräche drehten sich um die Wirksamkeit solcher Gifte und ihre Termine, je nach ihrer Zubereitung. Doch wie ihm .die Tollheit zu Kopf gestiegen war, das Zeigte er in einigen Ukasen, die eines Domitian würdig waren. Sein Hauptgegner war Herr von Cramm, der in Begleitung Wolfshagens in Berlin und Hannover gegen ihn gewirkt hatte und besonders am Sitz des Deutschen Bundes in Frankfurt das Feuer schürte. Als der Herzog hörte, daß dessen Gattin ihrer Entbindung nahe war, befahl er allen Ärzten Braunschweigs, ihr keinen Beistand zu leisten; ihm selbst aber solle sofort Anzeige von ihren ersten Wehen gemacht werden, damit er in der Nähe eine Pulverexplosion veranstalten könne. Ebenso groß war seine Erbitterung über den Oberjägermeister von Sierstorpff, einen alten würdigen Edelmann, der Karls Großvater, den erblindeten Herzog Ferdinand, nach der unglücklichen Schlacht von Auerstedt auf der Flucht nach Ottensen begleitet hatte. Sierstorpff sollte in Hannover, als ihn der Vizekönig Herzog

von Cambridge zur Tafel befohlen hatte, geäußert haben, dem Herzog Karl tue wieder ein recht strenger Oberhofmeister not, wie es in seinen Knabenjahren der Linsingen gewesen. Das wurde dem Herzog Karl hinterbracht, und er entsetzte Sierstorpff seines Amtes als Oberjägermeister, ernannte ihn aber dafür aus Hohn zum Oberhofmeister. Dies Amt lehnte

sierstorpff ab, da wurde er des Landes verwiesen wegen unehrerbietigen Betragens. Er wandte sich an die Gerichte, und in der Tat entschied das Obergericht zu Wolfenbüttel, daß jene Kabinettsverfügung keine rechtliche Geltung habe. Da schickte der Herzog seinen Vertrauensmann, den Advokaten Frieke nach Wolsenbüttel, der vor versammeltem Gerichtshof das Erkenntnis zerriß und den Richtern vor die Füße warf; der Herzog habe es kassiert. Und als die Richter in einer Eingabe das Recht der Justiz wahrten, ließ ihnen der Herzog eröffnen, neben der Justiz bestehe die Polizeihoheit, und kraft dieser könne der Herzog Strafen verhängen, die die Gerichte gar nichts angingen. Auch an den Bund hatte sich Sierstorpff gewendet, der ebenfalls beim Herzog für ihn eintrat, weil die Strafe zu hart sei für das Vergehen; doch Karl erwiderte, eine Regierung ohne Kraft sei verloren und der Adel wolle ihn stürzen.

Als sich das Gerücht verbreitet hatte, Sierstorpff werde nach Braunschweig zurückkommen und man werde ihn: einen fest­lichen Empfang bereiten, erließ Karl an den General von Herzberg, den Kommandanten von Braunschweig, eine Order, worin er erklärte, auch er wolle die Rückkehr Sierstorpffs feiern, er befehle den: General, sich an die Spitze seiner Division zu stellen, auf dem großen Platz, wo Sierstorpffs Hotel liegt, und wenn dieser dort erscheine, solle er und sein Gefolge mitKartätschen- schüssen begrüßt werden. Zu dieser Kartätschenfeier wurden 6000 Pfund Pulver in einer Kirche mitten in der Stadt niedergelegt.

Trotz aller Zerstreuungen, die ihm die Hofleute mit den buntgefärbten Bärten und den verschiedenen in Aussicht genom­menen Knalleffekten bereiteten, langweilte sich Herzog Karl in Vraunschweig. Seine Geliebte, Miß Coleville, hatte ihn ver lassen, da er deren Wunsch einer Ehe zur linken Hand nicht erfüllte. Karl trat wieder eine Reise nach Paris an, wo er sich besser zu unterhalten hoffte. Auch wollte er mit Rothschilds Hilfe die zusammengescharrten Millionen in französischen Renten anlegen, und als ein Fürst von europäischem Ruf war er auch am Hof des zehnten Karl eines ehrenden Empfangs gewärtig. Dieser Empfang entsprach indes nicht ganz seinen Wünschen; überdies hatte gerade die Todesstunde der Bourbons in Frankreich geschlagen. Herzog Karl wohnte den: interessanten Schauspiel der Julirevolution bei, die er mit seiner: Begleitern in einem offenen Landauer mit dem Feldstecher beobachtete. Doch einige Linienoffiziere machten ihn auf diesen ungeeigneten Beobachtungs­posten aufmerksam; außerdem waren die Franzosen erbittert über die Fremden, die den Bürgerkrieg als ein Schauspiel betrach­teten. Karl zog sich in sein Hotel, das Hotel de Castille, an der Ecke der Straße Richelieu und des Boulevard des Italiens zurück; hier betrachtete er die Revolution, die da unten wütete, den Rücken an den Fensterladen gelehnt, die Beine über die Fensterbrüstung herabhängend, bis er durch einige unangenehm pfeifende Kugeln vertrieben wurde. Anfangs hatte der Herzog sich über die englischen Familien, die in bequemen Wagen rasch aus Paris abreisten, lustig gemacht; dabei hatte er selbst den rechten Zeitpunkt versäumt und mußte als einfacher Arbeiter, den Rock auf einem Stock über die Achsel tragend, aus der Stadt hinausschlüpfen. Hundert Schritte von ihm entfernt ging vor ihm sein Adjutant und hinter ihn: sein Jäger; er war dann sehr froh, als er hoch oben auf den: Deck eines Omnibus ein Plätzchen neben einen: lleinen Pudel fand. So ging es bis Brüssel, wo die Bevölkerung ebenfalls seiner Liebhaberei für Revolutionen entgegenkau:. Er wohnte der Aufführung der Stummen von Portici" bei, an die sich unmittelbar der Aufstand in Brüssel anschloß. Au: 13. August 1830 traf er wieder in Braunschweig ein; er schlich sich bei Nacht und Nebel ins Schloß. In: Schloßhof wollte ihm sein eigener Ober-