Heft 
(1906) 43
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stallmeister den Weg versperren und entschuldigte sich dann damit, daß er ihn für einen Studenten gehalten habe.

Die Luft in Europa war schwül geworden, überall Zuckten Flämmchen empor, wenn sie auch nicht alle zur Flamme großer Straßenkämpfe wurden. Auch in Braunschweig war's nicht geheuer, die Stimmung des Volkes düster und feindlich. Der Sommer hatte Hagelschlag und Überschwemmungen gebracht; es herrschte Not und Verdienstlosigkeit in Stadt und Land. Flugblätter, Maueranschläge, selbst Plakate am Schloß Zeugten von den: offenen Kriegszustand, in dem sich die Bevölkerung gegenüber dem Fürsten befand. Dieser faßte die Summe seiner bei der Pariser Revolution erworbenen Einsichten in die Worte zusammen:Dem König in Frankreich ist es recht geschehen, daß er die Krone verloren hat er hätte sich wehren sollen. Ich würde nicht seinen: Beispiel folgen, ich würde die Kerls einfach niederkartätschen lassen."

Gerade jetzt war eine drückende Personensteuer eingeführt worden. Eine Abordnung von Bürgern erschien auf dem Schloß, um dem Fürsten die Not des Volkes Zu schildern und um Abhilfe aus den Geldern des Landes zu bitten, die dem Herzog Zur Verfügung standen, über die er aber zu seinem eigenen Nutzen bereits verfügt hatte. Der Herzog gab eine ausweichende Antwort. Kaum hatten die Abgesandten der Bürgerschaft das Schloß verlassen, als er den Befehl gab, an die Garnison scharfe Patronen zu verteilen und alle beurlaubten Soldaten einzuberufen. Überall wurden Arbeiter aus den Werkstätten und vom Arbeitstisch fortgeholt. Das machte das Maß der Erbitterung voll.

Doch immer wieder zeigte sich der Herzog bereit zu Zu­geständnissen; er war ein Phantast, der von unerhörten Greueln träumte, doch er war kein Mann der Tat. Zehn Kanonen hatte er auf dem Lessingplatz auffahren lassen. Als das Volk mit Spott und Wut sich um diesen Artilleriepark drängte, ver­stand er sich dazu, sie auf den Schloßplatz fahren zu lassen, wo sie aber auch noch einen allzu drohenden Eindruck machten. So gab Karl den Vorstellungen der Stadtbehörden nach und ließ die Geschütze wieder ins Zeughaus schaffen.

Drohungen des Volkes,man werde den Herzog erschießen, wo man ihn auch treffe", waren zu seinen Ohren gekommen. Auch seine Getreuen begannen für ihn und für sich selbst zu zittern. Er inspizierte des Abends alle Schildwachen; er ließ die Reisewagen zurechtmachen für den Fall, daß er sollte fliehen müssen. Fast schlaflos brachte er die Nacht zu. Am nächsten Abend fuhr er aus, mit einer Schauspielerin. Das Volk bewarf den Wagen mit Steinen; immer unheimlicher wurde es im Braunschweiger Land; die alte Anhänglichkeit an die Fürsten wich einer sich immer heftiger äußernden Feindseligkeit.

Tags darauf hatten sich große Volksmassen vor dem Schloß versammelt. Solche Volksansammlungen sind die Brutstätte der Revolutionen welcher Wind sie aber zusammenweht, hat noch kein Kundiger ergründet: es liegt etwas in der Luft, es ist ein dunkler Instinkt der Massen, der den Wechsel und Wandel ersehnt. Der Herzog selbst war der irrigen Meinung, daß die Abgesandten des feindlichen Adels von Haus zu Haus liefen, die Bürger zur Empörung wachriefen und zusammentrommelten oder ihre Gutsuntertanen nach Vraunschweig kommen ließen, um dort Unruhen zu erregen und sich an die Spitze einer auf­ständischen Bewegung zu stellen. Groß war allerdings der Einfluß des Adels auf die Bürgerschaft; die Kränkung der ständischen Rechte war empfindlicher für jenen als für diese, und so überließ sie ihm gern die Führung. Doch von den Fäden einer Verschwörung wurden die Volksmassen nicht ge­lenkt; alle hatten Anlaß zum Groll gegen den Herzog; alle beseelte nur das eine dumpfe Gefühl, es müsse anders werden. Was sie eigentlich selbst wollte, wußte die Menge nicht; doch sie war eben da, sie wuchs von Stunde zu Stunde und wirkte durch ihre eigene Schwerkraft.

Der Herzog schickte einen neuen Vertrauten, seinen Ad­jutanten Sommer, hinaus mit dem Befehl, das Volk möge sich Zerstreuen; doch vergeblich die Menge blieb aus den: Schloß­

platz und aus allen Gassen strömte neuer Zuzug herbei. Da schmetterten Trompeten, Trommelwirbel ertönten, die Heeres­macht des Herzogs marschierte vor den: Schloß auf.

Der Herzog eilte von Saal zu Saal in: Schloß in fieber­hafter Unruhe. Seine Getreuen rieten zur Flucht und gingen mit gutem Beispiel voran. Doktor Klindworth und Gräfin Görz flüchteten durch den Park. Karl ließ sich den Degen und den Federhut bringen; sein Roß stand gesattelt im Schloß­hof; doch er konnte zu keinem Entschluß kommen. Bor den Bildern seiner Ahnen stand er still, ihr ruhmreiches Beispiel mußte den Heldenmut in seiner Brust entzünden; doch sie hatten gegen die Fremdherrschaft, niemals gegen das eigene Volk gekämpft; sie waren gefallen durch die Kugeln der Franzosen, sollte er fallen durch eine Kugel, die ihn aus der Mitte seines Volkes heraus traf? Und doch, es war seine Pflicht, den Thron seiner Väter zu behaupten!

Das war ein Wirrsal von Gedanken, in den: er sich nicht zurechtfinden konnte. Draußen wie ein aufgewühltes

Meer der Lärm der Bolksmassen- dicht am Schloß der Marschtritt der Soldaten, das Klirren der Gewehre, der Kom­mandoruf der Offiziere, das Stampfen ihrer Pferde.

Endlich ein rascher Entschluß! Er winkte seinem Sommer, der wie ein Schatten hinter dem durch die Säle schwankenden Herzog einherglitt; sie stiegen zu Pferde und ritten vors Schloß.

Die Truppen begrüßten ihn mit militärischen Ehren; aber General von Herzberg hatte sie so aufgestellt, daß sie den: anstürmenden Volk den Rücken zukehrten; er entschuldigte sich bei dem Herzog, der diese taktische Aufstellung nicht ganz zweck­entsprechend fand, damit, daß er das aus Respekt getan habe, damit der Herzog bei seiner Ankunft seine Krieger von vorn und nicht von hinten zu Gesicht bekäme. Einen Augenblick schien es, als wollte Karl sich an die Spitze seiner Truppen stellen; er galoppierte mit gezogenem Degen die Front entlang, doch dann kam wieder das volle erdrückende Gefühl seiner verlorenen Sache über ihn. Was half es ihm, wenn er auf sein getreues Volk feuern ließ und Hunderte zu Boden streckte? Kein Metternich hielt seine schützende Hand mehr über ihn; der Deutsche Bund war ihn: so feindlich wie das eigene Volk, und ein Blutbad würde die Rachegeister später um so bedrohlicher gegen ihn entfesseln.

Er wandte sein Pferd zur Flucht, ohne irgend einen Befehl gegeben zu haben. Sommer begleitete ihn; er mußte denallerhöchsten" Federhut aufsetzen, damit den: Herzog weniger Gefahr drohe. Sie ritten unbemerkt durch die Allee; am Magnitor aber, durch das die herzoglichen Reisewagen vor­ausgefahren war, hatte sich eine dichte Volksmenge versammelt; doch es war dunkel geworden, und der Herzog erreichte, ohne erkannt zu werden, seinen Wagen. Plötzlich überflog den Himmel eine jähe Flammenröte. Herzog Karl, der vom Pferd abgestiegen war, sagte zu seinem Adjutanten:Gewiß, sie haben das Schloß in Brand gesteckt! Ein solcher Unsinn das Volk muß ja das Schloß doch wieder aufbauen!" Und er lachte und drehte sich auf dem Absatz um, ehe er in den Wagen stieg.

In der Tat, das alte Weifenschloß stand in Flammen; die Soldaten suchten anfangs das herandrüngende Volk zurückzuhalten; doch da sie keine Order erhielten, zu schießen oder die Menge mit dem Bajonett anzugreifen, und immer rückwärts kommandiert wurden, so war der entzügelten Leiden­schaft des Volkes kein wirksamer Damm entgegengestellt, und die tobende Masse brach ungehindert in die Hofburg des verjagten Tyrannen ein. Eine Art von Siegestaumel hatte das Volk ergriffen, eine Wut der Zerstörung. Nicht bloß der Haß machte sich Luft; auch die entfesselten Instinkte der Menge, die am Zerstörungswerk ihre besondere Freude haben. Feuer wurde angelegt welch ein Jubel, wenn die Prachtsäle zusammenbrachen; Kunstwerke wurden zertrümmert und aus den Fenstern geworfen, kostbare Gobelins zerrissen, die wert­vollsten Betten zerschnitten, so daß der zarte Flaum wie ein Schneegestöber dahinflog. Darüber wölbte sich immer gefahr­drohender das Feuerdach und nur in den Kellern konnte