Bühnenwirksamkeit der Einzelszenen erreicht Bürger „durch die (...) genaue Kenntnis der zu dem gewünschten sensationellen Zweck anzuwendenden Mittel“ (II, 77), das heißt durch Situationen, die ohne Stimmigkeit von Handlung oder Personen mit Sicherheit Anklang Anden. So problematisiert er in ihnen z. B. gern in sentimentaler Weise gesellschaftliche Wertbegriffe (wie den des Gentleman oder Ehrenmannes). Eine derartige Situation ßndet sich etwa in Gold und Eisen : ein ehemaliger Angestellter erpreßt einen Kommerzienrat, dessen Ehre der bis dahin wenig geachtete (weil arme) adlige Schwiegersohn rettet. Fontane vergleicht die Wirkung, die die „den Ehrenpunkt betreffende Geheime-Kommerzien- rats-Angst und die Zerstreuung dieser Angst durch einen baron liehen Schwiegersohn“ ausübt, mit der von „aus ihren Gräbern aufsteigende(n) Nonnen, die sich verneigen und dann zu tanzen beginnen“, oder „ein(em) verirrte(n) Kind, dem man Scheltworte statt Brot und Obdach gibt... “ (II, 77). In der psychologischen Unaufrichtigkeit und Unechtheit des Kommerzienrats stellt er die falsche Romantik des Stücks bloß: müßte doch der Held, „wenn (er) ehrlich gespielt (hat), das unehrliche Spiel anderer einfach verachten, doppelt aber dann, wenn (er) zum Opfer eines solchen unehrlichen Spiels gemacht werden soll“ (II, 78).
Die Vorliebe für effektüberladene Einzelszenen ist zwar für Fontane durchaus verdammenswert, doch erkennt er in ihr das — wenn auch auf diesem Wege vergebliche — Bemühen der Zeitgenossen um ein zeitgemäßes „modernes“ Schauspiel. 1883 setzt er sich — wieder anläßlich einer Besprechung Bürgers — grundsätzlich mit diesen Bestrebungen auseinander :
Eine ganz eigentümliche Kunstfertigkeit, ich darf sie nicht Kunst nennen, beherrscht die moderne Bühne: die Fertigkeit, einem was Vnterhaltliches vorzumachen (... Es) ist dies eine große ästhetische Frage, die mit den Kunstbestrebungen unserer Zeit überhaupt in innigstem Zusammenhänge steht. Man will das Alte nicht mehr und ringt danach, etwas Neues an die Stelle zu setzen. Aber welcher Art soll dies Neue sein? Hic haeret. Im letzten läuft es doch immer wieder auf Haß und Liebe, will also sagen auf jene Reihe von Kon- ßikten hinaus, die immer waren, immer sind und immer sein werden. Und so kann es sich denn bei den Neuerungsversuchen der Neueren um nichts anderes handeln, als darum, aus halbwegs neuen Menschen und Zuständen, aus dem also, was wir „modern“ nennen, halbwegs neue Situationen entstehen zu lassen (...) Aber wir sind offenbar erst in einem Werdestadium, in welchem — weil die Wichtigkeit der „neuen Situation“ an und für sich ganz richtig erkannt wurde — der ganze Schwerpunkt des Schaffens einseitig in das Finden oder Erfinden neuer Situationen gelegt wird. In diesem Finden neuer Situationen nun sind unsere modernen Dramatiker zum Teil sehr erfolgreich gewesen, und der Zauber, den sie, trotz zahlloser Ungeheuerlichkeiten, nicht bloß auf das Publikum, sondern auch auf die Kritik ausüben, (...) steckt allein in dem angestrebten und teilweise auch erreichten Neuen, das das Glück und „auf Zeit“ auch sogar den Anspruch hat, auf seine Zulässigkeit und