Heft 
(1985) 40
Seite
182
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eigentlichste Legitimation hin nicht allzu streng angesehen zu wer­den. ( Aus der Großstadt, Hervorhebungen von Fontane, II, 228229)

Die Bereitschaft Fontanes, die Suche nach Neuem mit Rücksicht auf not­wendige Experimentenicht allzu streng anzusehen, bezieht sich indes nur auf Lustspiele und aufGesellschaftsstücke: das gemeinsame Ziel derUnterhaltlichkeit entschuldigt auch die gemeinsamen (Irr-)Wege. Dennoch ergreift ihn bereits hier ein Gefühl derUnbehaglichkeit an­gesichts der stereotypen Wiederkehr derselbenMache, die ihm Zeichen der zeitgenössischen Dekadenz ist:Wir stecken bereits tief in der Deca­dence; das Sensationelle gilt, und nur einem strömt die Menge noch begeisterter zu, dem baren Unsinn. (H. Bürger Gabriele, 1878, I, 653)

d) Deutsche Tragödien: Ernst von Wildenbruch

Auf dem Gebiet des Trauerspiels dagegen wird für Fontane das künst­lerisch Zulässige überschritten. Die Tragödie muß in stärkerem Maß als die anderen Gattungen des Dramas den Gesetzen der Wahrscheinlichkeit entsprechen:Das Ganze (muß) gesund, klar, verständlich sein. (II, 196) Bedingungen hierzu sindmögliche, das heißt vorstellbare undinteres­sante Situationen, in denen sich psychologisch wahrscheinliche und ethisch annehmbare Menschen mitechten Gefühlen befinden. 12 Tatsäch­lich sind diese Bedingungen in den am Königlichen Schauspielhaus gespielten Tragödien vernachlässigt, ja, werden geradezu mißachtet. Hier offenbart sich am krassesten dasWertvakuum, das Hermann Broch an der gesamten Kunst dieser Zeit beklagt . a Fontane emfindet es als Verlust des gesunden Menschenverstandes, von dem in erster Linie die in reprä­sentativen Kreisen herrschende Modeauffassung betroffen ist. 14 Die neue modische Tendenz vertritt nach Fontane exemplarisch der dramatische Stern der achtziger Jahre, Ernst von Wildenbruch, der 1884 mit dem Schillerpreis ausgezeichnet wurde. Gegen das von Wildenbruch inszenierte Gemisch von falschen,uninteressanten Situationen, un­glaubwürdigen Menschen, die falschen Gefühlen verfallen sind, gegen die Gewaltsam- und Willkürlichkeiten, in denen Wildenbruch ein Meister ist (II, 260), wendet sich Fontane in einem Wildenbruch effektvoll paro­dierenden, ebenso pathetisch überladenen Stil. Schon die übersteigerte Begeisterung seines Publikums deutet Fontane im Bild des Lorbeer­kranzes an:

(...) derFürst von Verona reichte seinem Dichter einen neuen Lorbeerkranz, größer als alle früheren, die doch auch schon den jetzt üblichen Wagenradscharakter hatten. Ob die Kritik an diesem Riesenlorbeerkranz mitflechten wird, ist mir zweifelhaft, jedenfalls wird viel Stechpalme mit eingeflochten werden. (II, 460)

DieStechpalme Fontanes bezieht sich ähnlich wie bei Bürger auf die Situationen und die dargestellten Charaktere. Die Stücke Wildenbruchs sind, wie Fontane 1882 bei einer Besprechung des Harold zugibt, eminent wirkungsvoll. Wie bei Bürger wird auch hier die Wirkung durch psychologisch unwahrscheinliche, rührende Situationen erzielt. So bemängelt Fontane, daß eine mittelalterliche Auseinandersetzung