nämlich (...): „Hedwig und Christine, Töchter des verstorbenen Professors Roßlau: Frau Kahle-Keßler, Fräulein Meyer, und Naturforscher Wernshausen: Herr Ludwig.“ Für jeden mit der Theater- sprache nur einigermaßen Vertrauten, heißt dies etwa das Folgende: „Herr Ludwig wird von Frau Kahle-Keßler und Fräulein Meyer um die Wette geliebt werden, gibt in dieser schwierigen Lage mutmaßlich Fräulein Meyer den Vorzug, verlobt sich aber nichtsdestoweniger, nach von Fräulein Meyer dargebrachtem Opfer (Opfer 1), mit Frau Kahle-Keßler, bis diese wahrnimmt: ,es geht nicht 1 , und das Fräulein-Meyer-Opfer mit einem Frau-Kahle-Keßler-Opfer (Opfer 2) beantwortet. Opfer um Opfer.“ Und in der Tat, im Einklänge hiermit verläuft das Stück. (II, 183—184)
Fontanes Kommentar zu diesem „zeitgenössischen“ Stoff lautet: „Das ist Theaterurstoff, ein Saurier aus der Epoche der Liasformation.“ (II, 184) Was Fontane über die Situation der „modernen“ Schauspiele ausführt — Wildenbruch, der mit sechs Schauspielen vertreten ist, ist ihm nur ein besonders eklatantes Beispiel für das gesamte zeitgenössische Dramenangebot des Königlichen Schauspielhauses in den achtziger Jahren, das bis auf zwei Ausnahmen von Paul Heyse 17 ’ und die erwähnten Schauspiele zur preußischen und deutschen Geschichte durchweg Mißerfolge liefert 11 — gilt insbesondere auch für die psychologische Wahrscheinlichkeit und den ethischen Wert der dargestellten Charaktere. Historisch oder zeitgenössisch glaubhafte Personen haben in diesen Neuschöpfungen keinen Platz. Harold, seine souveräne Mißachtung zeitgenössischer Etikette, wie auch seine inkonsequente Einschätzung des Königs als willenlosen Schwächling, dem er zugleich jedoch die Einhaltung eines Schwurs zutraut 17 , ist ein schon bekanntes Beispiel; ebenso der falsche Edelmut in den „Opfern“, der beiden Opfer um Opfer-Heldinnen. Unter den Scheinkonflikten, wie sie die zeitgenössische Dramenproduktion aufweist, findet sich dieser Charakterzug am häufigsten. Aus der beliebigen Reihe an Beispielen sei nur noch Brigitta aus der gleichnamigen Tragödie von Richard Voß erwähnt. Die „schöne Wisbysche Goldschmiedetochter“ aus der Zeit des Dänenkönigs Waldemar schwankt zwischen der Liebe zu ihrer Vaterstadt Wisby und dem Eroberer Waldemar. Diesem Zwiespalt entzieht sie sich im Augenblick des Ehebündnisses mit Waldemar kurzerhand durch Gift. (1889, II, 635 ff.)
3. Die „Modernen“
a) Ibsen
Vor dem Hintergrund dieser vom Königlichen Schauspielhaus geförderten Dramenentwicklung der achtziger Jahre, der Neuerungsbestrebungen, die insbesondere auf dem Gebiet des „Sittenstücks“ und des Schauspiels so falsche Wege gehen, muß die in der Theatergeschichte so viel beachtete Aufgeschlossenheit Fontanes für den Naturalismus — eine in der tonangebenden zeitgenössischen Kritik einzig dastehende Haltung 18 —, allen voran für seinen Wegbereiter und nahezu charismatischen Vertreter Henrik Ibsen, gesehen werden.