Heft 
(1985) 40
Seite
185
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Nachdem Ibsen schon seit Mitte der siebziger Jahre auf deutschen Bühnen gespielt wurde 19 , erzielte er durchschlagende Erfolge seit der deutschen Erstaufführung von Nora 1880 in München, die ein Jahr darauf auch im Berliner Residenztheater gegeben wurde. 1889kapitulierte 20 auch das Königliche Schauspielhaus und veranstaltete eine deutsche Erstaufführung der Frau vom Meere. Schon vorher hatten zwei andere Dramenauffüh­rungen im Residenztheater Fontane Veranlassung zu einer Besprechung gegeben: 1888 Die Wildente und ein Jahr zuvor Die Gespenster, die er auch als Eröffnungsvorstellung der Freien Bühne besprach.

Ibsen ist anfangs für Fontane die Verwirklichung all dessen, was die Suche nach einem zeitgemäßen Drama erreichen konnte, und was in den Experi­menten des Königlichen Schauspielhauses mißlungen ist. Diese Ansicht wird zwar nicht im Zusammenhang entwickelt Fontane widmet Ibsen keinen Aufsatz 21 doch seine Kritiken und andere Stellungnahmen in seinen Briefen geben eindeutige Hinweise. Zunächst hat Ibsen die phrasen­hafte Sprache der zeitgenössischen Dramenautoren durch denpoetischen Zauber seiner (...) Simplizitätssprache (II, 599) ersetzt. Im Hinblick auf die Gattung stellt sich Ibsen als der eigentliche, oder zumindest der Neu­schöpfer des neuenKonfliktstückes (vgl. S. 173) als eines zeitgemäßen Gesellschaftsstückes dar. Wenn Fontane bereits Tilli das Berliner Leben und damit eine neue relevante Situation wiederzugeben schien, so gilt dies umso mehr für die psychologische Thematik Ibsens, wie die Bespre­chung der Frau vom Meere erweist:

Wie Ibsen überhaupt ein Terraineroberer ist, so ganz besonders in diesem Stück: Gibt es Gestalten wie Ellida? Ja. Gibt es ihrer viele, so daß von einemAusnahmefall nicht mehr die Rede sein kann? Auch ja. Und damit ist die Berechtigung, einen solchen Stoff und solche Heldinnen zu wählen ein für alle mal gegeben. (II, 610)

Er fügt sogar hinzu, wenn Gestalten wie Ellida als krankhaft und mithin unangemessen für die Darstellung auf der Bühne gelten würden, wie es überwiegend in der zeitgenössischen ablehnenden Kritik geschehe, dann sei ereventuell fürs Kranke. So stellt die folgende Erklärung:Ich lebe mit Kranken wie Ellida (...) lieber als mit der Mehrzahl der Gesunden, die mir in meinem Leben vorgestellt wurden (II, 611), einen kaum zu übersehenden Angriff auf diegesunden Dramenhelden der Zeit dar. Ibsen,dieser segensreiche Revolutionär, der die ästhetische Welt um einen guten Schritt vorwärts gebracht hat 22 , löste sich in seinen Dramen vom zeitgenössisch-modischen Themenbereich des Theaters, denEhren- Konflikten der höheren Gesellschaftskreise. Bedeutete dies allein schon eine inhaltliche Neuerung, münzte er im übrigen das im Gesellschaftsstück so beliebte Ehebruchsthema auf die Hinterfragung der Ehe an sich und der gesellschaftlichen Stellung der Frau um. 23 Dabei bezog er auch andere Fragen von aktuellem Interesse wie die Vererbungstheorie 2/ mit ein.

Was Fontane bei der Begegnung mit Ibsen so unmittelbarerschüttert, oder zumindestaufs äußerste spannt,, 23 , das ist einmaldie Wahrheit und Ungeschminktheit in der Wiedergabe des Lebens (II, 695), mehr noch aber sind es die künstlerischen Mittel zur Darstellung dieser Wahr-