heit. Sie entsprechen weitgehend Fontanes eigenen Vorstellungen bzw. bewirken eine Präzisierung und Bereicherung seiner ästhetischen Vorstellungen.
Die „künstlerische Durchbildung seines Stoffes (...), Kritik und Geschmack, Konsequenz und Akkuratesse der Arbeit“ treten so sehr in den Vordergrund, daß der Inhalt „relativ gleichgültig“ wird (II, 580). Die Stücke Ibsens, so empfindet Fontane es als wohltuend, sind nicht in Einzelszenen zerrissen, wie es bei den anderen „modernen“ Dramatikern der Fall war, vielmehr ist „alles aus einem Guß“ (II, 599). Ibsen besitzt die Gabe der „konsequenten Entwicklung“, der „graduellen Aufklärung“, die die anhaltende Spannung gewährleistet.
Wie Fontanes Bezeichnung „graduelle Aufklärung“ andeutet, wird das dramatische Geschehen aus der Retrospektive aufgerollt, und zwar hauptsächlich durch die Konfrontation der Personen im Dialog. So z. B. in den Gespenstern: In den Gesprächen, die die Personen des Dramas führen, erfährt ein Beteiligter nach dem anderen einen jeweils anderen Teil der Vergangenheit. Kontrastierung ist überhaupt ein allseitig verwandtes Stilmittel Ibsens. Das betrifft den Ideengehalt seiner Werke (der Lüge wird „die Wahrheit“ entgegengehalten, dem Schein steht die Wirklichkeit gegenüber und dem Individuum die Gesellschaft) wie auch rein technische Darstellungsmittel (schon die Regieanweisung der Gespenster sieht z. B. als Bühnenbild eine Aussicht „auf die Umrisse einer düsteren, in gleichmäßigen Regen getauchten Fjordlandschaft“ vor, über der am Schluß die Sonne aufgeht 2b ). Kontrastierung ist aber auch kennzeichnend für die Stellung der Personen des Stücks zueinander: Helene Alving heiratet nicht ihren Jugendfreund, den Pastor Manders, sondern den Kammerherrn Alving; als sie das verkommene Wesen ihres Mannes erkennt, sucht sie Zuflucht bei Manders, der sie indes wieder zu ihrem Mann zurückführt; sie gibt ihren eigenen Sohn außer Haus, um ihn dem Einfluß des Vaters zu entziehen, und zieht dagegen selbst die uneheliche Tochter Alvings, Regine, auf; die beiden forciert getrennten Kinder — sie lebensvoll und mit gesellschaftlichen Ambitionen, er schon im Bewußtsein seiner vom Vater geerbten unheilbaren Geschlechtskrankheit — wollen heiraten, werden aber durdi ihre bis dahin verheimlichte Verwandtschaft daran gehindert. Und schließlich zeichnet Ibsen die Personen selbst als kontrastreich angelegte Charaktere. So beschreibt Fontane in einem Brief an die Schauspielerin Paula Conrad das Wesen von Hilde, der Tochter des Landarztes Wangel, in der Frau vom Meere:
Ich finde die Hilde eine ganz köstliche Figur, echt ibsensch und von der besten Sorte. Ein junges Ding mit dem ganzen Backfischübermut, hartherzig, grausam, insolent und doch mit einem herrlichen Fond echten, tiefen Gemüts, schwärmerisch (...), liebebedürftig, keck, humorvoll — eine reizende Person, ein ganzer Mensch. 27 Ellida, Wangels Frau, charakterisiert er in seiner Besprechung als „hochgradig nervös“ (II, 599), aber
Ellida ist nicht nur eine krankhafte, von Wahngebilden heimgesuchte, sie ist, nebenherlaufend und in einer Art Gegensatz dazu auch eine edle, tapfere und charaktervolle Frau (...) (II, 602).
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