Heft 
(1985) 40
Seite
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heit. Sie entsprechen weitgehend Fontanes eigenen Vorstellungen bzw. bewirken eine Präzisierung und Bereicherung seiner ästhetischen Vor­stellungen.

Diekünstlerische Durchbildung seines Stoffes (...), Kritik und Geschmack, Konsequenz und Akkuratesse der Arbeit treten so sehr in den Vorder­grund, daß der Inhaltrelativ gleichgültig wird (II, 580). Die Stücke Ibsens, so empfindet Fontane es als wohltuend, sind nicht in Einzelszenen zerrissen, wie es bei den anderenmodernen Dramatikern der Fall war, vielmehr istalles aus einem Guß (II, 599). Ibsen besitzt die Gabe der konsequenten Entwicklung, dergraduellen Aufklärung, die die an­haltende Spannung gewährleistet.

Wie Fontanes Bezeichnunggraduelle Aufklärung andeutet, wird das dramatische Geschehen aus der Retrospektive aufgerollt, und zwar haupt­sächlich durch die Konfrontation der Personen im Dialog. So z. B. in den Gespenstern: In den Gesprächen, die die Personen des Dramas führen, erfährt ein Beteiligter nach dem anderen einen jeweils anderen Teil der Vergangenheit. Kontrastierung ist überhaupt ein allseitig verwandtes Stilmittel Ibsens. Das betrifft den Ideengehalt seiner Werke (der Lüge wird die Wahrheit entgegengehalten, dem Schein steht die Wirklichkeit gegenüber und dem Individuum die Gesellschaft) wie auch rein tech­nische Darstellungsmittel (schon die Regieanweisung der Gespenster sieht z. B. als Bühnenbild eine Aussichtauf die Umrisse einer düsteren, in gleichmäßigen Regen getauchten Fjordlandschaft vor, über der am Schluß die Sonne aufgeht 2b ). Kontrastierung ist aber auch kennzeichnend für die Stellung der Personen des Stücks zueinander: Helene Alving heiratet nicht ihren Jugendfreund, den Pastor Manders, sondern den Kammer­herrn Alving; als sie das verkommene Wesen ihres Mannes erkennt, sucht sie Zuflucht bei Manders, der sie indes wieder zu ihrem Mann zu­rückführt; sie gibt ihren eigenen Sohn außer Haus, um ihn dem Einfluß des Vaters zu entziehen, und zieht dagegen selbst die uneheliche Tochter Alvings, Regine, auf; die beiden forciert getrennten Kinder sie lebens­voll und mit gesellschaftlichen Ambitionen, er schon im Bewußtsein seiner vom Vater geerbten unheilbaren Geschlechtskrankheit wollen heiraten, werden aber durdi ihre bis dahin verheimlichte Verwandtschaft daran gehindert. Und schließlich zeichnet Ibsen die Personen selbst als kontrast­reich angelegte Charaktere. So beschreibt Fontane in einem Brief an die Schauspielerin Paula Conrad das Wesen von Hilde, der Tochter des Land­arztes Wangel, in der Frau vom Meere:

Ich finde die Hilde eine ganz köstliche Figur, echt ibsensch und von der besten Sorte. Ein junges Ding mit dem ganzen Backfischübermut, hartherzig, grausam, insolent und doch mit einem herrlichen Fond echten, tiefen Gemüts, schwärmerisch (...), liebebedürftig, keck, humorvoll eine reizende Person, ein ganzer Mensch. 27 Ellida, Wangels Frau, charakterisiert er in seiner Besprechung alshoch­gradig nervös (II, 599), aber

Ellida ist nicht nur eine krankhafte, von Wahngebilden heim­gesuchte, sie ist, nebenherlaufend und in einer Art Gegensatz dazu auch eine edle, tapfere und charaktervolle Frau (...) (II, 602).

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