Heinrich von Kleist mit seiner „Schmuddelwelt ohne einen einzigen Licht- und Schönheitsschimmer“ (1886, II, 429), wie auf der „optimistischen Seite“ auch der Natalie von Turgenjew, der hier „das vielgestaltete Ding, das man Leben heißt, nur unter dem Liebesgesichts punkt“ sieht (1889, II, 632). Die Bedeutung, die Fontane dem Kontrast an sich beimißt, weist — wie auch seine wesentlich auf dramentechnische Aspekte abhebende Rezeption Ibsens — darauf hin, daß auch bei Fontane (wie bei Ibsen) der Humor als kontrastverschärfendes stilistisches Mittel keine Nebenrolle spielt.
Neben der „humoristischen Verklärung“ erhält eine weitere ästhetische Kategorie, die „ethische Erhebung“ durch das Kunstwerk, in den Ibsen- Kritiken differenziertere Umrisse. So kommt er in seiner Besprechung der Wildente zu dem Schluß:
Es ist wahr, ein Stück wie die „Wildente“ entläßt uns ohne Erhebung, aber muß es denn durchaus Erhebung sein? Und wenn es Erhebung sein muß, muß sie den alten Stempel tragen? Sind nicht andere Erhebungen möglich? Liegt nicht — des erschütternden Waltensehens unerforscherlicher Schicksalsmächte ganz zu geschwei- gen — liegt nicht auch in der Unterwerfung eine Erhebung? Ist nicht auch Resignation ein Sieg? (II, 696—697, Hervorhebungen v. Fontane)
Auch die „Erhebung“ bringt Fontane in anschließenden Erwägungen gleich wieder in ästhetischen Zusammenhang, da Erhebung auch durch vorhandene Kontraste bewirkt werden könne. Seinen Fragen gibt er nämlich selbst die folgende Antwort:
Und wenn alles verneint werden sollte, haben wir in diesem Stücke nur ein Niederdrückendes? Wird nur Menschenelend demonstriert und nur Verzicht auf Freud und Glück in den Vordergrund des Daseins gestellt? Bei längerer Betrachtung jedenfalls weniger, als es auf den ersten Blick erscheint. In Turgenjews letztem Romane „Neuland“ verklingt auch alles trübe genug, und alle die, die wirr und wirrer streiten, gehen zugrunde; aber auf den einen, der, aller Utopie feind, ohne Phrasen einfach Nützliches und zugleich nächstliegend Menschliches ins Auge faßt, auf ihn fällt das Licht des kommenden Tages. Und ähnlich auch in diesem Ibsenschen Stück. (II, 696—697, Hervorhebungen v. Fontane)
Zweifellos kommt hier der Erhebung noch eine ethische Bedeutung im Sinne der „versöhnlichen Zukunftsperspektive“ 31 zu; daneben wird aber auch eine „ästhetische Erhebung“ durch die wirklichkeitsnähere, weil die Kontraste miteinbeziehende Darstellung wirksam.
Zu den zahlreichen künstlerischen Leistungen Ibsens, die Fontane nicht nur als vorbildlich empfindet, sondern die seinem eigenen Stil besonders nahekommen, zählt schließlich, wie Reuter zutreffend festgestellt hat 32 , die Liebe zum Detail, „zu den kleinen, den Alltagsdingen des Lebens“, die Fontane selbst an sich immer wieder hervorhebt. So geht er auch auf die Detailzeichnung Ibsens ein: „Was hier (in der Wildente, L. G.) gepredigt wird, ist echt und wahr bis auf das letzte Tüttelchen, und in dieser Echtheit und Wahrheit der Predigt liegt ihre geradezu hinreißende Gewalt“. (II, 696)
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