bescheidendes Streben nach dem Normalen. Es ist selbstverständlich, daß er es in der Frau vom Meere nicht mit Ellida, sondern mit „dem guten alten Wangel“ hält, dem „alten Durchschnittsdoktor“, den er „gleich in Gold fassen“ ließe (II, 601, 604). Und es ist ebenso natürlich, daß er das mystisch-rätselhafte Wesen Ellidas auf eine psychische Krankheit zurückführt, daß er ihre ganze Gestalt in immer neuen, auch komischen Bildern zu versachlichen sucht wie in diesem:
Der gute alte Wangel ist in einer verzweifelten Lage, was nur zu begeiflich, wenn die wirkliche Ellida der durch Fräulein Clara Meyer dargestellten Ellida an Erscheinung und langem rotbraunem Haar, und immer gebadet, auch nur halbwegs ähnlich gewesen ist. (II, 600)
Fontane hält es überall mit dem „Normalen“, Durchschnittlichen, dem „bon sens“ — Lukäcs bezeichnet es treffend als seinen „Kampf um das Normale“ 38 — und mit dem „Bescheidenen“, ob in seinen Theaterkritiken oder auch in seinem Romanwerk.
Bescheidenheit, Natürlichkeit sind auch Eigenschaften, die er an Gerhart Hauptmann im Gegensatz zu Ibsen lobend hervorhebt.
b) Gerhart Hauptmann und die deutschen Naturalisten
Hauptmann debütierte als Dramatiker mit seinem ersten „sozialen“ Drama Vor Sonnenaufgang, das bei seiner Uraufführung vor dem privaten Publikum der Freien Bühne am 20. 10. 1889 einen der größten Theaterskandale hervorrief. Gegen die größtenteils scharf ablehnenden Urteile der Berliner Presse — der geachtete Kritiker Karl Frenzei warf ihm neben „seinen Unflätigkeiten, mit denen es reich gesegnet ist, graue Langweile, Mangel an Handlungen und Gedankenleere“ vor 39 — erklärte sich Fontane zum „Gonfaloniere der ,Neuen“ in vorderster Reihe“ 40 . „Hauptmann“, so schreibt er in seiner Kritik,
erschien mir einfach als die Erfüllung Ibsens. Alles, was ich an Ibsen seit Jahr und Tag bewundert hatte, (...) die Neuheit und Kühnheit der Probleme, die kunstvolle Schlichtheit der Sprache, die Gabe der Charakterisierung, dabei konsequenteste Durchführung der Handlung und Ausscheidung alles nicht zur Sache Gehörigen — alles das fand ich bei Hauptmann wieder, und alles, was ich seit Jahr und Tag an Ibsen bekämpft hatte: das Spintisierige, (...) das Rätselstellen, Rätsel, die zu lösen niemand trachtet, weil sie vorher schon langweilig geworden sind, alle diese Fehler fand ich bei Gerhart Hauptmann nicht. (II, 713—714)
In einem Brief an Stephany betont er noch einmal, worauf es ihm bei Hauptmann ankommt, daß er nämlich „ein stupendes Maß von Kunst (besitze), von Urteil und Einsicht in alles, was zur Technik und zum Aufbau des Dramas gehört.“ 41
Es ist bezeichnend, daß Fontane gerade die dramentechnischen Qualitäten des Stückes lobt, das schon von Zeitgenossen — wie Frenzei — nicht nur Wegen seines Mangels an Handlung als undramatisch, als Reihung von „Charakterbildern, Szenen aus dem Volks- und Gesellschaftsleben und