Gespräche(n)“ 42 empfunden wurde. Aufgrund seiner zahlreichen epischen Momente wies auch Peter Szondi an ihm exemplarisch die „Krise des (aristotelischen) Dramas“ 43 auf. Fontane geht es in der Tat im Grunde viel weniger um dramatische als um epische Qualitäten — den „Ton“ zunächst, der das Häßliche verkläre und dem Drama seinen künstlerischen Wert verleihe (II, 712—713), beziehungsweise die Sprache, die. mit Heinrich Hart zu reden, „so köstlich, frisch, natürlich und lebensvoll ist“ 44 . Dann ist es ihm um seine „geniale Charakteristik“ 45 zu tun und schließlich auch um den undramatischen Kern des Stückes. Vor Sonnenaufgang ist kaum noch ein Handlungsdrama, sondern viel mehr bildliche Darstellung einer der künstlerischen Gestaltung vordem unerschlossenen Realität: die Misere der Familie Krause symbolisiert die soziale Zerrüttung bäuerlicher Kreise, die sich an der Erschließung von Kohlegruben bereichert haben. Anders als Ibsen beschränkt sich Hauptmann darauf, das verkommene Milieu der Familie Krause zu zeichnen ohne einen idealen Gegenentwurf, eine „weit- und menschenverbessernde Doktrin“. Tragik im traditionellen Sinne fehlt angesichts der allgemeinen Ausweglosigkeit. „Leidenschaftlich gespannte Tendenzen, eine hinreißende Macht der Ideen und Gegensätze, Konflikte“ (vgl. S. 183), gibt es bei diesen hoffnungslos an ihre Situation geketteten Menschen nicht. Doch Fontane stört hier der einseitig negative Grundtenor nicht. Abgesehen von der Tatsache, daß er die Vorstellung der Determiniertheit, der „historisch gewordenen Gegenwart“ weitgehend teilt, sind es wieder die künstlerischen Gegensätze — auf sprachlichem Gebiet kontrastiert zum Beispiel der Dialekt mit der Hochsprache, auf thematischem fallen die kontrastreichen und untereinander kontrastierenden Charaktere auf —, die ein Gegengewicht zur pessimistischen Grundstimmung bilden. Fontane geht denn auch vor allem auf die Charaktere ein, besonders auf die der beiden am kontrastreichsten angelegten Figuren Loths und Helenes. In dem „sozialdemokratisch angeflogenen“ Loth ironisiert er humorvoll die sich durch dessen Prinzipien ergebenden Widersprüche. Er beschreibt ihn als einen
anständige(n) Kerl, etwas verrannt, starke(n) Doktrinär und Prinzipienreiter, aber durchaus ehrlich und zuverlässig. Unter seinen Prinzipien steht Bekämpfung des Alkoholismus obenan (...) Dieser mit Menschheitserhebungsgedanken gesättigte Alfred Loth, den man kurz als einen Abstinenzfanatiker charakterisieren kann, steckt nun in einer Schnapshöhle. Scharfe Beobachtung scheint nicht seine Spezialität: er merkt nichts. Vielleicht deshalb nicht, weil er sich, wie so oft die Doktrinäre, sofort für die jüngere Tochter Helene zu interessieren beginnt. (II, 711)
An Helene betont er den Kontrast zwischen Herkunft und Erziehung in ihrem Wesen:
Die Schwierigkeit (diese Rolle darzustellen, L. G.) liegt darin, eine nach Charakter und Erziehung wunderbar gemischte Gestalt lebenswahr und in ihrer grausigen Schlußtat, der sie zum Opfer fällt, begreiflich hinzustellen. Heftig, herbe, leidenschaftlich und zugleich doch weich und schmiegsam und von einer edlen Sehnsucht nach