Heft 
(1906) 51
Seite
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routiniert ausgedrückt! Und noch damit beschäftigt, trat er in sein Zimmer, wo Thilde gerade den roten Papierschirm über die Lampenglocke warf.

Guten Abend, Thilde. Nun, was gibt es?"

Das mußt du wissen, du warst ja aus."

Ja, ich war in der Ressource, nur eine Viertelstunde, und dann kam Silberstein und gab mir die,Hartungsche^ mit einem Artikel darin aus Woldenstein."

Ach, das ist gut, ich dachte schon, er wäre untern Tisch gefallen."

Aber, Thilde! Dann ist es am Ende doch so . . .? Dann hast du den Artikel eingeschickt?"

Thilde lachte.Ja, das mit dem Landrat, das mußte anders werden, das ging nicht so weiter."

Also wirklich, du hast ihn geschrieben?"

.Nein, geschrieben nicht eigentlich."

Aber wer denn?"

Ein Unbekannter, dem ich nun zu Dank verpflichtet bin. Als wir damals das Gespräch hatten, da sah ich jeden Tag, wenn die ,Vossische^ kam, in die Wahlangelegenheiten hinein, und es sind wohl nun schon acht Tage, da fand ich das alles in einer kleinen Korrespondenz aus Mpslowih, und danach habe ich es Zurechtgemacht. Wenn man erst das Gestell hat, ist es ganz leicht, eine Puppe zu machen."

Er schüttelte mit gutmütigem Lächeln den Kopf, war aber doch etwas verlegen.

Thilde, du solltest doch lieber so was nicht tun."

Ich dachte, du würdest mir danken, daß ich das beglichen und deine Stellung angenehmer gemacht habe."

Ja, du kannst aber mal damit scheitern. Es kann auch mal schief gehen."

Gewiß, alles kann mal schief gehen, und die sich dadurch einschüchtern lassen, die sitzen still und tun gar nichts. Schief gehen! Ich würde doch lieber warten, bis es so weit ist; bis dahin aber würde ich mich freuen, wenn einer für mich sorgt. Silberstein, der so schrecklich gebildet ist, spricht immer von deiner Initiative."

Ja, und es ist mir auch mitunter fatal genug, besonders wenn du dabei bist. Aber ich bitte dich, halte du nicht Zu viel davon."

Seit dem Artikel in derHartungschen" hatte sich Hugos Stellung in Woldenstein und in der Umgegend noch wesentlich verbessert. Auch der katholische Lehrer war gewonnen worden, nachdem auf Thildens Anregung eine Gehaltszulage für ihn beantragt und auch bewilligt worden war. Thilde freute sich ihrer Errungenschaften und gab ihrer Freude auch dadurch Ausdruck, daß sie sich modisch kleidete, wobei Silberstein, der oft nach Posen und Breslau fuhr, mit Rat und Tat helfen mußte. Die Ressource leitete Beziehungen ein, und ein Er­scheinen im landrätlichen Haus war in hohem Maß wahr­scheinlich. Es setzte sich mehr und mehr die Meinung fest, daß die Frau Bürgermeister sehr klug sein müsse, immer wisse, was in der Welt los sei. Selbst Ehrenthal gab zu, siehöre das Gras wachsen", und sagte huldigend:Sie hat entschieden was von unsere Leut."

Im ganzen ließ sie sich aber all das nicht Zu Kopf steigen und blieb nüchtern und überlegend, und nur darin Zeigte sich ein kleiner Unterschied gegen früher, daß sie sich zu einer ge­wissen Koketterie bequemte und auf Hugo einen Frauenreiz auszuüben suchte. Sie ging darin so weit, daß sie die Ampel vom Flur her in das Schlafzimmer nahm und scherzend Zu Hugo bemerkte:Draußen im Flur hat sie nun ihre Schuldig­keit getan, schade, daß das Rosa wie gar nichts aussieht. Es müßte Rubinglas sein. Man kriegt dann so rote Backen. Die liebe Schmädicke! Was wohl Mutter sagen würde. . ."

Ja," sagte Hugo,die würde sich freuen über dich, und ich habe es mir auch überlegt, ob wir sie nicht zum Fest ein- laden sollen."

Thilde schüttelte den Kopf.Nein, Hugo, dazu haben wir es denn doch noch nicht. Und sie müßte doch Zweiter

fahren oder wenigstens doch von Bromberg aus. . . Und dann, es geht auch überhaupt nicht. Wir müssen für sie sorgen, natürlich müssen wir das, denn sie ist doch eine gute alte Frau und immer so allein und bloß die Runtschen um sich her, was gerade kein Vergnügen ist..."

Nein", bestätigte Hugo, den es bei dem bloßen Namen wieder überlief.

. . . die Runtschen und die Schmädicke, die auch nicht viel besser ist. Aber einladen hierher, geht nicht. Wir packen

ihr eine Kiste Zusammen, Schinken, Eier, Butter, und legen

ihr vier oder sechs Paketchen Thorner Kathrinchen bei und einen schwarzen Muff, den sie sich schon lange gewünscht hat, und Gummistiefel mit Pelz, und wenn sie das auspackt, dann freut sie sich viel mehr, als wenn wir sie hier mit in die Ressource nehmen. . . Und überhaupt, es geht mal nicht. Der Landrat könnte da sein oder die gnädige Frau. Und nun denke dir einen Vostontisch und Mutter mit dem Landrat zusammen! Ich glaube, Mutter kann gar nicht Boston. Sie hat seit Vaters Tod bloß immer Patience gelegt. . . Nein,

dazu ist mir Mutter zu schade, daß sie sie hier auslachen.

Und dann, Hugo, auch unsertwegen. Wir sind doch nun das, was man in Büchern und Zeitungen die oberen Zehntausend nennt, obschon Woldenstein erst dreitausendfünfhundert Ein­wohner hat, und was der Adel auf dem Land ist, das sind die Honoratioren in der Stadt, und das sind wir. . . Also, es geht nicht. Ich denke, wir warten, bis ein Jahr um ist, und dann nimmst du Urlaub, und dann besuchen wir Muttern und können dann auch sehen, was aus Rpbinski geworden ist."

Hugo war mit allem einverstanden. Er hatte das mit der Alten auch nur so gesagt, weil er Thilden eine Freude machen wollte. Zugleich dachte er an ein Weihnachtsgeschenk. Er fand Rubinglas auch hübscher.

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Die Woche Zwischen Weihnachten und Neujahr verging in Saus und Braus. Der Landrat, der während der letzten vier Wochen im Reichstag gewesen war, kam zurück, und eine Fest­lichkeit drängte die andere. Am Weihnachtsabend war erst Aufbau für die armen Kinder aller Konfessionen, wobei Thilde, die Landrätin und Rebekka Silberstein die Leitung übernahmen. Am Silvesterabend war Theateraufführung in der Ressource, wo erstMonsieur Herkules" und dannDas Schwert des Damokles" gespielt wurden. Hugo hätte gern mitgespielt, mußte aber verzichten, weil es sich nicht passe. Silberstein gab den Vuchbindermeister Kleister und erfuhr, daß sein Spiel an Döring erinnert habe. Hugo mußte den ganzen Abend an Rpbinski denken und beneidete ihn um das Stehen in der freien Kunst. Der Ball, der folgte, ließ aber trübe Gedanken nicht aufkommen; er selbst eröffnete mit der Landrätin die Polonäse, und der Landrat folgte mit Thilde, die die Reichstagsberichte jeden Morgen las und gelegentlich sogar einen Satz aus einer kurzen Rede zitierte, die der Landrat über die Simultanschulfrage gehalten hatte.

Sie interessieren sich für Politik, meine gnädigste Frau?"

O ja, Herr Landrat. Je mehr ich die kleinen Verhält­nisse fühlte, die mich umgaben, je mehr empfand ich eine Sehnsucht nach Auffrischung, die nur, i^ will nicht sagen das Ideal, aber doch das Höhere ergeben kann. Ich darf sagen, daß die Reden Bismarcks erst das aus mir gemacht haben, was ich bin. Es ist so oft von Blut und Eisen gesprochen worden, aber von seinen Reden möchte ich für mich persönlich sagen dürfen: Eisenquelle, Stahlbad. Ich fühlte mich immer wie erfrischt."

Beim Souper, das den Tanz auf eine Stunde unterbrach, saßen sich Landrat und Bürgermeister gegenüber. Als der Tanz um zwei Uhr wieder begann, rückten sie.nebeneinander, und der Landrat sagte:Bürgermeister, Freund, Sie haben eine famose Frau! Kolossal beschlagen! Weiß ja Bescheid