4. Zeitgemäßes in der Vergangenheit
Auch das Irrationale, „Romantische“ hat für Fontane Anspruch, mit in die zu gestaltende Wirklichkeit einbezogen zu werden. Bezeichnend dafür ist seine Besprechung des romantischen Verschwender von Ferdinand Raimund, in der er sich noch 1886 für die Feenwelt Raimunds als eine Welt „großer, letzter Fragen“ einsetzt:
(...) findet sich aber wer, dem diese arme Welt wirklich noch mit Wundern gesättigt ist, der einfachen und demütigen Herzens an sich selbst empfindet, daß unsere Kraft und Klugheit nichts und der Wille höherer Mächte, welchen Namen wir ihnen auch geben mögen, alles bedeutet, der darf auch Schutzgeister in Tüll und Wolkenwagen erscheinen lassen (...) So kindisch alle diese Dinge erscheinen mögen, so handelt es sich dabei doch in Wahrheit um letzte, große Fragen“ (II, 409, Hervorhebung von Fontane)
Vorherrschend ist bei Fontane indes das Interesse an der Darstellung von Menschen, und das Theater bietet ihm immer wieder Anlaß zum Studium von Charakteren und deren durch eine komplexe, kontrastreiche Anlage vorgegebene Entwicklung. Wenn er im Prinzen von Homburg den „Triumph der Kunst“ in der „Klarheit und Konsequenz des Gewollten, der absoluten künstlerischen Notwendigkeit“ (I, 509) statuiert, so bezieht er sich damit unausgesprochenen auf die Zeichnung der vielschichtigen Gestalt des Prinzen Friedrich und dessen Weg zur „Selbstbesinnung“ (II, 516). Als notwendiges Gegengewicht gegen Friedrichs letzte Entscheidung in bewußter Verantwortlichkeit rechtfertigt Fontane sogar die in der Exposition betonte Seite des „romantischen jungen Liebhabers“ (I, 508), die an sich als der historischen Gestalt des Prinzen unangemessen und somit störend empfunden wird. — Des Meeres und der Liebe Wellen von Franz Grillparzer — für Hugo von Hofmannsthal das „Saitenspiel von Liebe“ schlechthin’ 1 — stellt sich für Fontane zuei'st dar als der Wandel einer „stillen Seele“, der Hero bis hin „zur Entwicklung großer Leidenschaft“. (1874, I, 329)
Auch bei den Besprechungen der Klassiker im engeren Sinn, befaßt sich Fontane, wenn er überhaupt auf schauspieltechnische Aspekte eingeht und sich nicht auf die Besprechung der Inszenierung oder der schauspielerischen Leistung beschränkt 32 , am liebsten mit den dargestellten Charakteren. Dies gilt gleichermaßen für Schiller, von dessen Werken nur Kabale und Liebe seine uneingeschränkte Zustimmung findet und eingehend auf die Charaktere der Beteiligten hin überprüft wird 53 , wie für Goethe 54 oder Shakespeare, an dem ihn konsequenterweise in erster Linie die konfliktreiche Natur des Hamlet anzieht. 53
5- Theaterkritik des Romanautors
Die Klassikerrezeption rundet das Gesamtbild von Fontanes Kritikertätigkeit ab. Es ist auf die „verantwortungsvolle Subjektivität“ seiner Rezensionen hingewiesen worden. 56 Subjektiv ist seine Kritik in dem Maß, in dem unausgesprochen stets der Romanautor mitspricht. Die zwischen den Zeilen sich ständig vollziehende Auseinandersetzung mit seinem
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