Heft 
(1985) 40
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erzählerischen Schaffen ist mitbeteiligt an der eher verhaltenen Rezeption der Klassiker, von denen ihm im Grunde nur dasModern-Menschliche anzieht. Sie ist auch einer der Gründe dafür, daß Fontane mit gleicher Unbefangenheit thematische und technische Elemente derleichteren Gattungen schätzt (den liebenswürdig-harmlosen Ton Benedix, die in den französischen Gesellschaftsstücken vorgegebene Situation, ihre kon­trastierende Charakterisierung, den Dialog), wie er bei den traditionellen ernsteren Gattungen deren Aussagekraft vor allem im kontrastreichen Charakter und in dessen Entfaltung sieht. Die dramentechnischen Krite­rien des naturalistischen Dramas, die auf zwischenmenschlichen Kon­trasten basierenden Situationen Ibsens wie die nuancierte atmosphärische Milieu- und Menschenschilderung der deutschen Naturalisten stehen seinen eigenen ästhetischen Bestrebungen dieser Zeit am nächsten. Daß das durch Ibsen und die Auseinandersetzung mit den deutschen Natura­listen geförderte, immer expliziter werdende Interesse für ästhetisch­technische Kriterien nicht unabhängig sein mag von seinem endgültigen Schritt hin zur ausschließlichen Romanproduktion, dafür könnte auch ein biographisches Faktum sprechen. Fällt doch Fontanes Rezeption Ibsens und der Naturalisten zeitlich mit dem Ende seiner Tätigkeit als Theater­kritiker und dem Beginn seines letzten Lebensjahrzehnts als freier Künst­ler zusammen.

Anmerkungen

1 Es sei in diesem Zusammenhang auf meinen Artikel Fontane e la critica teatrale (Pisa, Nistri Lisch! 1984) verwiesen, aus dem der vorliegende Aufsatz ein leicht geänderter Auszug ist. Dieser Artikel hatte zum Ziel, neben und in den in Italien nahezu unbekannten Theaterkritiken auch ein freilich zwangsläufig knappes Profil des von der italienischen Germanistik bislang noch wenig gewürdigten Autors zu geben. Daher wurde stärkeres Gewicht auf bibliogra­phische Angaben vor allem bei aktuellen Themenkreisen der Forschung gelegt, im Hinblick auf die Theaterkritik berücksichtigte er auch die hier ausgeklam­merten Aspekte der Inszenierungs- und Schauspielkritik und die hauptsächlich in diesen Rahmen fallende Beschäftigung mit dem klassischen Schauspiel.

2Historische Genrestücke Fontane zitiert u. a. Kolberg von Paul Heyse und Gustav Putlitz Vor hundert Jahren - die wohl vorrangig wegen ihreshisto­rischen Inhalts geschätzt sind, werden in diesem Rahmen zurückgestellt. Vgl. hierzu meine obenerwähnte Arbeit.

3 Die Seitenangaben im Text beziehen sich auf die Nymphenburger Werkausgabe, hrsg. von Edgar Groß unter Mitwirkung v. Kurt Schreinert u. a. (= NY), Bd. XXII, 1-3, Causerien über Theater, München, Nymphenburger Verlagsanstalt, 19641967. Die römische Zahl entspricht der jeweiligen Teilbandnummer, die ara­bische der Seitenzahl.

4 Immer wieder hebt Fontane die notwendige Anspruchslosigkeit undBeschei­denheit des Lustspiels innerhalb der Schauspielkunst hervor. Eine eindeutige Rangordnung stellt er indes nicht explizit auf. Daher wird von der Kritik häufig die Auffassung vertreten, er tendiere dazu, die traditionellen Gattungsbewer-

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