Daß man Reuters Verdienste nicht schmälert, wenn man die Grenzen seines Verfahrens aufdeckt, versteht sich. Im Gegenteil: andere können dort ansetzen, wo Reuters umfassender Überblick Fragen offenläßt. M. Hellge greift die Beobachtung bei Lukäcs auf, daß einige Romane in bedenklicher Nähe zu „bloßer Belletristik“ (1950, S. 285 f.) ständen (vgl. Müller-Seidel 1975, S. 316). Mit Recht wendet sich F. Betz dagegen, daß solche Urteile allein mit dem glücklichen oder nicht glücklichen Ausgang von Romanen begründet werden (1983, S. 211). Wir kommen im IV. Abschnitt darauf zurück, weil zuvor die methodischen Ebenen dargelegt und unterschieden werden müssen, auf denen sich das Problem stellt. Wir sollten aber übergreifende historische Leitlinien bewahren, wenn neues Material aus verwandten Disziplinen hinzugenommen wird. Die anregenden Arbeiten aus dem „Archiv für Geschichte des Buchwesens“ (im folgenden = AGB) haben uns von D. Barth (1975) bis M. Davidis (1982) sehr wertvolles Material gebracht. Zum Verständnis des Begriffes LL hat auch R. Wittmann (1981) insofern beigetragen, als er „Das literarische Leben 1848 bis 1880“ darzustellen und zu verallgemeinern versucht hat. Obwohl er die Schwierigkeiten hervorhebt, „den“ literarischen Autor bzw. „das“ literarische Publikum zu benennen, wird nach objektiven Faktoren für eine Funktionsbestimmung gesucht, wenn W. schreibt (S. 233), daß
„Die Rolle der flktionalen Literatur als Orientierungshilfe und stabilisierender Faktor“ zunächst (nach 1848) in den Hintergrund getreten sei (wie die gegenüber dem Vormärzt sinkenden Zahlen für die Buchproduktion belegen).
„Diesem Rang Verlust im öffentlichen Leben nach 1848 entsprachen eine sinkende Bedeutung literarischer Kommunikation im geselligen und ein Funktionswandel literarischer Rezeption im privaten Bereich — die nicht schöngeistige Lektürefrequenz bleibt davon weitgehend unberührt oder profitiert davon wie die periodische Presse. Die generalisierende Behauptung bedarf natürlich zahlreicher Modifikationen; dennoch ist diese Grundtendenz einheitlich in allen sozialen Schichten und Gruppen zu erkennen.“
Auch hier zeigt sich die Schwierigkeit, interdisziplinär zu arbeiten bzw. aus sozialhistorischer Sicht allein zu einer Synthese zu gelangen, wo im Einzelfall (so Fontane) eine außerordentliche Disparatheit und Ungleichzeitigkeit von gleichzeitigen Vorgängen herrscht (vgl. Goldammer und Krueger 1982). So umfassend sich diese Materialien auf technische Neuerungen der Buchproduktion, die explosionsartige Entwicklung des Buchhandels, die periodische Presse und ihre Abnehmer, aber auch Tendenzen der Bevölkerungsentwicklung, ihrer Klassenstruktur und Bildung erstrek- ken (vgl, Kuczinsky 1982, S. 118-142, wo dargelegt wird, auf welche Weise die Begriffe Klasse und Bevölkerung zusammengehören) — es bleibt doch ein gewisses Unbehagen, weil der Weg eines Autors wie Fontane sicher nicht unabhängig von diesen Faktoren, aber auch nicht zwangsläufig und ausschließlich innerhalb dieses Rahmens verläuft.
(R. Wittmann ist dies nicht anzulasten, sein Ziel ist ein anderes.)
Diese Fragen wären auch an die sehr informativen Kapitel der marxisti-