Heft 
(1985) 40
Seite
207
Einzelbild herunterladen

verlangt, folgerichtig zu akzeptieren, und die deutliche Regression zu einer romanzenhaften Melodramatik verrät, die wieder die Sehn­sucht nach der Irrationalität märchenhafter Wunscherfüllungen an­deutet als Selbstmordversuch und überraschende Rettung aus dem Wildbach; Schiffbruch und plötzliche Wiederkehr; Sturz in den Gletscher und die Rettungsmannschaft auf halbem Wege. In einer Erzählform also, die sonst durch bürgerliche Kontinuität konstitu­iert wird, der Drang zur Aufhebung aller Kontinuitäen: deshalb die symptomatischen Sätze, die sich mit dem Hinweis und in der Tat über die Frage der Kontinuität wie spielend hinwegsetzen; rasche Erscheinungen (er kam in die Tür geschneit); unerwartete, aber totale Veränderungen ohne jegliche Nuance; das absolute Anders, das ein reizvolles Mädchen hastdunichtgesehen in eine alte kranke Frau verwandelt; apodiktische Vorgänge, die jeder Zeitlichkeit ermangeln. Eine Erzählform, welche die Rationalität des genre nur noch als Fluch empfindet und in die Romanze flüchtet; eine fugen­lose Welt, die den Leser mit flachen Versatzstücken umstellt: Re­gression, Kulisse, Zeit ohne Zeit, Konflikt ohne Konflikt; eine Welt, die nichts mehr zu wünschen, aber auch nichts mehr wiederzulesen gewährt.

P. Demetz Einleitung, seine undifferenzierte (ahistorische) Abwertung der Verspätungsthese (bei Th. Mann, G. Lukäcs, H.-H. Reuter) teilen wir nicht; aber sein Hinweis auf die Abwehr von Öffentlichkeit (S. 13), mithin eine ArtVermeidungsstrategie (vgl. Kl. R. Scherpe 1979, S. 73), ist als An­regung zur Weiterführung solcher Textbeobachtungen wertvoll. Eine historische Fundierung der Beobachtung von Thomas Mann, daß die Ver­spätung des Schriftstellers Fontane eine Verjüngung einschließe (die G. Lukäcs begonnen hat), kann m. E. produktiv ins Umfeld des LL geführt werden. Der späte Fontane wurde nicht nur von der Jugendauf den Schild gehoben, und er meinte auch nicht immer:Die Jugend hat Recht. (Vgl. Keiler 1980, S. 604 f.) Seine weiter zurückreichenden Kunst­erfahrungen mußten auch mit den neuen Bedingungen und Bestrebungen kollidieren. P. Demetz kann zwar Unterschiede zwischenLAdultera und Effi Briest herausarbeiten, aber die Übergänge im Einzelwerk (Einzel­text) treten nur ansatzweise hervor. Für eine angemessene Bewertung muß komplexer herangegangen werden. Das Urteil differenziert sich nicht nur im Blick auf Fontanes Entwicklung (das versucht Demetz), sondern im Vergleich mit anderen Zeitgenossen (vgl. Grieve 1979) und Schaffens- bedingungen, die durch den Markt und andere geschichtliche Prozesse vorgegeben sind.

C. Liesenhoff (1976), H.-J. Konieczny (1978) und M. Windfuhr (1979) haben die bisher umfangreichsten Spezialuntersuchungen zuFontane und das literarische Leben seiner Zeit vorgelegt (Liesenhoff 1976). Explizit nennt sich C. Liesenhoffs Arbeiteine literatursoziologische Studie. Sie ist noch Sanz den methodologischen Vorüberlegungen verpflichtet, die breiten Raum einnehmen (vgl. S. 740). Der Begriff LL (S. 40) wird mit H. N. Fügen und ähnlich wie bei R. Wittmann beschrieben, letztlich als eine Summe von Faktoren mit besonderer Berücksichtigung der Familienzeitschriften