ästhetische Grundforderung der Familienblattliteratur, wonach Erotik und Sexualität in Keuschheit und Anmut zu stilisieren waren. [...] Hildes Charakter entspricht den Tendenzen der Frauenliteratur, die in den ,Monatsblättern‘ erschien. Wie dort, so wird auch hier ihr Schicksal als Läuterungsprozeß dargestellt.“
Man erfährt, daß sich F. damals konform gab. Der umfassende Vergleich beider Textfassungen von „Quitt“ (Gartenlaube 1889, Buchveröffentlichung 1890) ist von anderer Beweiskraft. Auf 70 Seiten hat K. im Anhang der Arbeit die Ergebnisse seines textkritischen Vergleichs angefügt. Die Kürzungen durch die Redaktion der Gartenlaube bezeichnet K. (S. 113—19) als „ein Stück ungeschriebener Geschichte der Fontane-Rezeption“ (S. 123). Zeitkritik wurde eliminiert, eine Art Heimatautor wurde dem Publikum vorgestellt. Merkwürdig bleibt der mehr als laxe Kommentar Fontanes zu den Verstümmelungen seines Romans (vgl. „Theodor Fontane. Der Dichter über sein Werk“ - DÜW 1977, S. 399-405), aus dem auch das Eingangsmotto stammt. Zehn Jahre neue Markt-Erfahrung sind miztu- denken. Erneut ist damit die Frage verbunden, wie die wechselseitigen Zusammenhänge zwischen Rücksicht auf das Publikum einerseits und Suche nach eigenen Wegen, die solche Rücksichten geringer achten, andererseits, sich ergeben und erklären. M. Winfuhrs zentrale These (1979, S. 344) beeindruckt durch die Gradlinigkeit der Beweisführung:
„Der späte Fontane brauchte die Großformen, um sich voll entfalten zu können. [...] Wenn man davon ausgeht, daß schon der erste Roman auf der Höhe der zweiten Phase liegt (nach 1889, O. K.) und das Programm der epischen Totalität und Ausgewogenheit in weitem Maße verwirklicht, muß das bisherige Bild von der erzählerischen Entwicklung des Dichters korrigiert werden. Die Schwächen im Jahrzehnt von 1878 bis 1888 sind nicht auf Anfängerschwierigkeiten als Erzähler, sondern auf Geschmacks- und Gattungszugeständnisse zurückzuführen.“
M. Windfuhr nennt seine Arbeit „Fontanes Erzählkunst unter den Marktbedingungen ihrer Zeit“. Er kann sich auf umfangreiches Material zur sozialen Situation Fontanes stützen. Er kennt die Arbeit von Liesenhoff, wertet die Tabellen von H.-J. Konieczny aus (1978, S. 18 f.; S. 174) und fügt dem unveröffentlichtes Material aus dem Fontane-Archiv in Potsdam hinzu. Alle diese Berechnungsgrundlagen belegen überzeugend einen Einschnitt um 1889, was auch mit Briefen, also Selbstaussagen des Schriftstellers, übereinstimmt, in denen F. seine größere finanzielle Unabhängigkeit bestätigt (so 1888 anläßlich von „Stine“, die von der Vossin abgelehnt wurde). Aber M. W. führt weiter. Er ergänzt diese Art von Belegen durcli Beobachtungen am erzählerischen Werk. Genrefragen werden ins Zentrum gerückt. Der Übergang von „Westermanns Monatsheften“ zu „Nord und Süd“ und der „Gartenlaube“ habe F. zum Mitmachen am „Novellenkattun , beim „Novellenschacher“ gezwungen (S. 336 f.). Das sei erst in den 90er Jahren anders geworden, neue Erzählstrukturen träten in den Vordergrund (wie in der zentralen These behauptet). Schillerpreis (1891), Ehrendoktorat (1894), kaiserlicher Ehrensold (1895) belegten dies auf der anderen Ebene.
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