I
Novellen anderer Autoren habe F. schon vordem kennengelernt (Heyse, Storm, Lindau) — sein Abrücken von eigenen Romanvorstellungen belegt M. W. mit einem Brief an Karpeles v. 30. fi. 1879:
„Hier haben Sie, hochverehrter Herr, die Skizze [zu ,Sidonie von Borcke 1 , O. K.] Über das, was der Stoff wert ist, der außerdem glücklich für mich liegt, bin ich mir vollkommen klar, und ich werde mir seine Behandlung nicht entgehen lassen. Aber ich kenne Publikum und, pardon, unter Umständen auch Redaktionen! .Liebe, Liebe ist mich nötig* ist einerseits der Hauptchorgesang, aber diese ganze Liebe muß auf dem Patentamt eingeschriebn sein. Man könnte sagen: so viel wie möglich, aber auch so dünn wie möglich. Das wäre vielleicht das Ideal. Von diesem Ideal bin ich aber ziemlich weit entfernt.“
Von hier aus leitet M. W. zu interessanten stilistischen Fragen, die er sich weitergeführt wünscht (S. 340, vgl. Anm. 16, S. 345). Zu summarisch, wenn auch anregend, wird auf epische Räume, Lokalton, tragische Momente und Stoffwahl verwiesen. Es könnte die zeitgenössische Literatur in Parallele gesetzt werden (vgl. Demetz 1970, S. 12). M. W. geht einen anderen Weg. In Anlehnung an Novellendefinitionen von Goethe und Kleist bis zu Heyse und mit Blick auf „Cecile“ und „Unwiederbringlich“ meint er, daß F. „sich einer tragischen Schematik“ unterworfen habe, Fontane „entwertet dadurch oft die Reize und Qualitäten der übrigen Erzählung“ (S. 342). M. E. ist hier eine wichtige Gestaltungsfrage, die durchaus mit Marktbedingungen zusammenhängt, einseitig auf vordergründige Abhängigkeit reduziert: „In den Romanen gelingen Fontane dagegen differenziertere Lösungen für das vorliegende Problem“ (S. 342). Abgesehen davon, daß die Genre-Bezeichnungen nicht unproblematisiert zugrunde gelegt werden dürfen, sind mit Sicherheit auch andere Faktoren im Spiel. Dichtungstheoretische, sozial- und individualgeschichtliche Momente wirken zusammen. Danken wir dem Verfasser für seine Vorschläge, leuchten wir im folgenden Abschnitt III näher den Hintergrund solcher Wandlungen aus.
III
Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar Vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen.
Karl Marx in „Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte“ (1851/52)
Wenn es tatsächlich eine „Kritikoffensive“ der „Zwanglosen“-Gemeinschaft (gegründet 1884) zur Aufnahme und Förderung der Fontane-Romane Ende der achtziger Jahre gegeben haben sollte (Betz 1980, in Aust: S. 262, hat dies überzeugend relativiert), so ist doch kein Zweifel daran, daß Fontane selbst sich außerordentlich darum bemüht hat, die Aufnahme und den
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