Briefe in „Effi Briest“) ist in einem v/eiten Sinne (und als weitere Ebene) als historisches Arbeitsfeld zu beschreiben. Freilich kann dies nicht mehr allein mit Fontane belegt werden. Auf Marx fußend, hat D. Sommer diesen Raum mit Hegel als Spannungsfeld bezeichnet.
„Hegel, der noch am Anfang dieser Entwicklung stand, konstatierte bereits, daß die Romanfigur .nicht als selbständige, totale und zugleich individuell lebendige Gestalt dieser Gesellschaft selber* handeln könne; daß aber andererseits und im Widerspruch dazu das Interesse und das Bedürfnis .solch einer wirklichen, individuellen Totalität und lebendigen Selbständigkeit* als Schaffensimpuls und als Lebenseinstellung der Romanflguren stets gegenwärtig seien. In diesem Widerspruch liegt für Hegel der Spielraum des Romans, dem er für seine Zeit und für die nahe Zukunft ganz bestimmte Handlungsstruktur zuordnet.“ (1983, S. 149)
D. Sommer leitet danach zu Fontane:
„Fast alle Romane Fontanes reduzieren Figurenentwicklungen darauf, daß die Gestalten ihre vorgegebene und vorgeprägte Individualität unter dem Zwang bestimmter Situationen mehr oder weniger unfreiwillig entfalten und dadurch vorübergehend gleichsam außer sich geraten. [...] Die Widersprüche bestehen darin, daß der einzelne die Macht der Konvention gleichermaßen als etwas Fremdes, sein persönliches Glück Vernichtendes erlebt, andererseits aber dieselbe Konvention als Sitte, Recht, und Ordnung subjektiv bejahen muß.“ (S. 150, 152).
Von hieraus wird sichtbar, daß Fontanes Figuren nur bedingt durch ihre soziologische Zuordnung zu bestimmen sind, und auch die Bourgeoisfiguren sind nicht eigentlich bei der Arbeit zu erleben. Diesem Tatbestand ist anregend P. U. Hohendahl nachgegangen (1979, S. 74—102).
Mehr als zehn Jahre zuvor hatte P. Wruck bereits darauf aufmerksam gemacht, daß als tragende Achse der Gestaltung vom „Sturm“ zu „Schach von Wuthenow“ das Rollen-Bewußtsein bzw. das Bewußtsein der Figuren über ihren vorgezeichneten Weg (ihre Rollen) gelten könne, das Marie Kniehase noch sehr allegorisch vom „Lübecker Totentanz“, die Witwe Pittelkow, Magd Roswitha und Mathilde Möhring später aus ganz harter Alltagserfahrung beziehen (vgl. Wruck 1967, S. 201 ff.).
Grenzen und Möglichkeiten dieses Arbeitsraumes sind von der Literaturwissenschaft aber nur bedingt so „doppelbödig“ i. S. einer historischen Philologie ausgeschritten worden. Offenbar bedarf es dazu eines erweiterten Verfahrens der Textanalyse (vgl. Kliche 1985, S. 290).
Sucht man in der Fontane-Forschung nach solchen Interpretationsmodellen, so kann bei Sommers Analysen angesetzt werden (vgl. seine subtilen Motivuntersuchungen 1969) — man sieht aber auch, wo die Bereiche der Entstehungs-, Vermittlungs- und Rezeptionsgeschichte noch ausgespart sind. Dennoch wird zu einer schöpferischen Textanalyse geführt, welche radikal mit der Vorstellung von der „Vollendung“ eines Werkes als einer geschlossenen Struktur bricht und Widersprüche der Gestaltung aufsucht.