Heft 
(1879) 25
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Das verlorene Paradies.

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Als jedoch der Arzt unlängst nebenbei eines fremden jungen Professors, des bekannten Alcuin Walter gedachte, der durch sein heiter anregendes Wesen die gelehrten Häupter der Stadt entzücke, da horchte Frau von Bechen auf, als wecke sie der Name aus einem Traum, und fragte den Erzähler, ob er Herrn Walter kenne? und der Doctor, höchst erstaunt, fragte ebenso rasch, ob die gnädige Frau ihn denn kenne? Und sie wollte geschwind wissen, was den jungen Mann nach Trier geführt und ob er schon länger hier sei und bleiben werde? Und kaum hatte der Gefragte Zeit zu antworten, daß Walter auf einer Ferienreise in Trier seit mehreren Wochen Rast gemacht habe, weil ihm Stadt und Leute so überaus gefielen, so fragte sie auch schon nach der Adresse des Professors; denn sie wolle ihn bitten, daß er sie besuche, sie wolle ihn kennen lernen.

Also kennen Sie ihn noch gar nicht?" fiel der Doctor ein.

Persönlich nicht!"

Erstaunlich!" rief Jener.

Aber was ist es denn Erstaunliches," fragte die Dame, anmuthig aufgeregt,wenn ich einen berühmten Gelehrten kennen lernen will, der das ganze gelehrte Trier entzückt?"

In der That, das ist nichts Erstaunliches, und ich erstaune nur über mich selbst, gnädige Frau, weil ich Sie zu kennen glaubte und plötzlich einsehe, daß ich Sie erst kennen lernen muß."

Noch am selben Tage erhielt Professor Walter ein Billet folgenden Inhalts: Es würde mich freuen, Sie in nächster Zeit aus meiner Villa zu sehen. Meine Empfangstunde ist Nachmittags fünf Uhr. Martha von Bechen."

Der Professor, welcher sich nur dunkler Reden entsann, die seine Trierer Freunde über die unnahbare Dame hatten fallen lassen, und der außerdem in seinem Leben nichts von einer Frau von Bechen gehört, dachte bei sich,die vornehmen Leute haben doch ein unschätzbares Privileg: je resoluter sie ohne Umstände thun und sagen, was sie wollen, für desto vornehmer gelten sie. Nicht einmal drei entschuldigende Worte über den Raub an meiner kostbaren Zeit, keine Zeile, weshalb sie mich zu sehen wünscht; ich soll nur einfach kommen! Und ich werde kommen."

So war also Professor Walter schon am nächsten Tage Punkt fünf Uhr vor dem Pförtnerhäuschen der Villa erschienen, und wir begreifen nun auch, weshalb er die bescheidenste und stolzeste, die geschriebene Visitenkarte abgab. Denn wenn Frau von Bechen ihn einzig und allein von allen Menschen sehen wollte, so mußte sie auch wissen, was er ohne Titel Werth sei.

II.

Eine Frau, die wahrhaft schön ist, ohne daß sie daran denkt, duldet eine schöne Gesellschafterin neben sich; nur wer schön sein möchte, sucht die Folie des Unbedeutenden und Häßlichen.