Heft 
(1879) 25
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Das verlorene Paradies.

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gestochene Karte mit dem vollen Titel und nicht die titellos geschriebene abgeben sollen. Er hatte sich eben so irrthümlich eingebildet, daß Frau von Bechen seine Schriften kenne, wie sie, daß er von ihrer Mosaik gehört habe.

Ich bin Philologe," erwiderte er, freundlich belehrend.Kunst-Archäolog bin ich leider nicht, leider, in diesem Falle; denn sonst pflege ich zu sagen: Gottlob?"

Und ich glaubte, Beides sei ein und dasselbe!" sagte sie lächelnd.

Reizende Unwissenheit!" dachte der Gelehrte,reizender noch als ihr Lächeln," und fand sie wieder um ein Stück liebenswürdiger.

Aber ist es denn ein Unglück Archäolog zu sein, da Sie Gott­lob Keiner zu sein behaupten?"

Ein Unglück in der That! Die Kunst-Archäologie ist eine überaus nothwendige Wissenschaft, wir Philologen können ihrer Hülfsarbeit nicht entbehren, wir schätzen die Archäologen als Brüder, aber wir bedauern sie zugleich. Der Archäolog übt die Kunst, da etwas zu sehen, wo andere Leute nichts sehen und etwas zu finden, wo nichts ist. Er erbaut sich eine Welt auf Trümmern und auf Luft. Den meisten antiken Marmorbildern fehlt Hand und Fuß, nicht wenigen auch Arm und Bein, sehr vielen der Kopf, allen aber die Nase. So sind diese höchsten Kunstwerke selber das wahre Symbol der Kunst-Archäologie, die überdies noch viel zu jung ist, zu gährend, zu unreif, um ihre Jünger beglücken zu können. Wir Philologen dagegen stehen auf altgefestetem j Boden. Die griechische Sprache ist ein voll gerundetes Ganze, das harmonischste Ganze in dieser unharmonischen Welt. Beklagen gleich auch wir viele Lücken und Trümmer der Literatur, so ist uns doch des Besten genug erhalten, und etwas Sehnsucht nach dem Verlorenen gehört überall zum vollen Gmck. Die Gesetze der Grammatik find unantastbar, wie die Gesetze der Logik und Mathematik, und diese Gewißherr giebt ein beseligendes Gefühl in all den Wirbeln und Strudeln unsers Dichtens und Trachtens. Die Archäologen fangen erst an, wir Philologen aber sind beinahe fertig; denn die griechische Sprache und Literatur liegt fertig vor; und man kann doch nicht immer wieder von vorn anfangen mit Textkritik und Exegese und Grammatik einer todten Sprache. Aber in diesem Tode waltet zugleich das ewige Leben, in diesem Alterthum blüht die ewige Jugend. Ein jeder Mensch muß einen Glauben haben, und wir glauben an die unantastbare Vollendung der griechischen Sprache als der edelsten aller Sprachen, an die nie zu erreichende Meisterschaft der griechischen Poesie als der höchst elastischen, ewig mustergültigen. Der Geschmack wechselt, die Wissenschaft schreitet rastlos fort. Gerade deshalb aber bedürfen wir eines festen Punktes, von dem alle Wissenschaft ausgeht, und aus den sie immer wieder zurückgreift, das sind -die elastischen-Sprachen und einer Kunst, die über allem Wechsel des Geschmackes steht, und diese finde ich in Homer und Sophokles. Aber nicht blos der Gelehrte, auch der Mensch findet Befriedigung und Glück in der Weihe des attischen Geistes. Die Jugend sehnt sich nach einem Paradiese der Zukunft; find wir aber einmal über die