Heft 
(1879) 25
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Das verlorene Paradies.

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Meine väterlichen Güter," bemerkte Frau von Bechen,liegen bei Schönau, und Schloß Laubenstein gehörte zu seiner Pfarrei. Es sind nun

zehn Jahre seit Ihres Bruders Tod-doch warum rede ich von diesen

Dingen! Ich wollte Ihnen ja den antiken Mosaikboden zeigen."

Sie erhob sich und schwieg, als scheue sie vor Erinnerungen zurück, zu denen sie sich doch sichtbar hingezogen fühlte.

Der Professor bat sie sortzufahren, und sie setzte sich zögernd wieder und sprach leise vor sich hin:

Sei es denn! Es ist eine kurze und traurige Geschichte. In meinen letzten Mädchenjahren wohnte ich mit meinem Vater und Bruder auf Lauben­stein. Meine Mutter war schon lange todt; mein Bruder, der einzige männ­liche Sproß unseres Hauses, ein reich begabter Jüngling, der Stolz und die Hoffnung des alternden Vaters. Da geschah es eines Tages, es war am Hubertustage 1863, daß mein Vater und Bruder zur Theilnahme an einem großen Treibjagen auszogen, und am Abend kam der verzweifelnde Vater mit der Leiche des Sohnes wieder heim. Eine verirrte Kugel hatte Karl getödtet; man konnte nicht feststellen, von welchem Schützen sie gekommen, allein mein Vater behauptete, er selbst sei der unselige Schütze gewesen, und während sämmtliche Jagdgenossen erhärteten, daß der arme Karl durch seine eigene Unvorsichtigkeit plötzlich in die Schußlinie gerathen, war mein Vater nicht von dem Glauben abzubringen, daß er vielmehr den eigenen Sohn erschossen habe. Er verfiel in Tiefsinn und kränkelte und hat sich nie wieder erholt.

Ach, das war eine entsetzliche Zeit! und wir wären vergangen vor Jammer, wenn Ihr Bruder nicht die einzige Stütze meines unglücklichen Vaters gewesen wäre. Er besuchte ihn fast täglich; nicht, um ihn mit Trost­gründen zu beruhigen, die doch nur vielmehr das Trostlose unseres Jammers immer neu hätten erscheinen lassen, sondern, um seinen brütend Dch zer­marternden Geist auf andere Dinge abznlenken. Ihr Bruder war kein Pietist, aber man nannte ihn einen Mystiker, weil ihm die religiöse Erkenntniß nicht ein Vorschreiten von Licht zu Licht, sondern von Geheimniß zu Geheimniß war, und ihr letztes Ziel nicht die Fülle des Besitzes, sondern die Kraft der Entsagung. Und denken Sie! Ihr Bruder erleichterte meines Vaters Leiden, indem er denselben Ton anschlug, den Sie vorhin angeschlagen, nur in weit volleren Accorden: er erzählte ihm vom verlorenen Paradies! Er sprach von dem seligen Frieden, der anfangs zwischen den Menschen und der übrigen Welt gewaltet, von der ursprünglichen Reinheit und dem ange­borenen Adel unserer Natur, er flocht die ältesten Sagen der Völker, die davon reden und träumen, mit der Hand des Dichters zum wunderschönen Kranze, die Sagen vom Paradies, dessen Ort und Zeit man überall sucht, und nirgends findet, weil es niemals außer uns gewesen ist, sondern immer verschleiert und unerkannt in uns selber. Dann lasen wir gemeinsam Miltons ,Verlorenes Paradies-, und über den kühnen Bildern und den scharfen Gedanken, die so mächtig aus der dämmernden, ungestalten Sagen-