Heft 
(1879) 25
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!V. H. Riehl i n München.

Wären Beide gewöhnliche kleineReisende" gewesen, so würde Jeder unvermerkt den Oberkellner gefragt haben, wer sein Nebenmann sei. Allein Keiner that es, und doch beobachtete Jeder den Andern, ob er's nicht thue; sie waren Beide ohne Zweifel Geschäftsleute größeren Styls.

Der präsumtive Eisenmann begab sich auf sein Zimmer Nummer 1; die Seidenbranche auf Nummer 2; - also durfte Jeder seinen Nachbar für einen distinguirten Gast halten, der telegraphisch vorausbestellt hatte. Denn je niedriger die Nummer, je höher der Mann.

Wir folgen zunächst dem Jüngeren auf Nummer 2.

Er legte sich in's Fenster und betrachtete die Aussicht. Gerade unter ihm lag ein Gärtchen, von der Wupper bespült; dintenschwarz floß das Wasser dahin; kein Fisch und kein Frosch lebt darin, und wenn der beste Schwimmer Hineinsiele und etwas Wasser schluckte, so würde er trotz seiner Schwimmkunst an Vergiftung sterben; denn durch den Abfluß aus hundert Fabriken, ist die Wupper hier mehr chemisches Kunstwasser als Naturwasser. Und doch erfreut sie das Auge mit ihrer tiefen Spiegelung; auch ein tödtliches Wasser beseelt die Landschaft. Ueber den Fluß wölbt sich, rechts bergansteigend, die große Steinbrücke, die zum Bahnhofe führt, dessen stattliche Gebäude auf der Höhe thronen, wie eine Akropolis, und sie sind noch dazu im griechischen Style; eine neue Eisenbahn-Merkwürdigkeit, die unfern Gast besonders anzog, zumal sie scharf mit dem ganzen übrigen Elberfeld contrastirt, welches nicht sehr griechisch aussieht. Oberhalb der Brücke bildet die Wupper eine breit ange­schwemmte Insel, die heute bunt genug belebt war; es wurde nämlich eine Art Kirmeß dort abgehalten. Schaubude stand an Schaubude, Menagerie und Circus, Welttheater und Affenkomödie drängte sich an einander; ein zweistöckiges Caroussell überragte das Ganze; im Vordergründe wardas größte Schwein der Welt" zu sehen, und in der Nebenbudedie stärkste Frau der Schweiz."

Aber zur Zeit lag noch Stille über dem Schauplatz, Bestien, Künstler und Kunstfreunde hielten Mittagsruhe, und auch unser Reisender streckte sich zur Siesta auf's Kanapee. Allein er war noch nicht lange eingeschlafen, als ihn ein Höllenlärm erweckte.

Da unten begann's lebendig zu werden. Eine Glocke tönte ohn' Unter­laß, ein fürchterliches Horn, eine Art Nebelhorn, rief mit langen Stößen die Zuschauer herbei; das Orchester des Caroussels intonirte einen Walzer in ^8, und das Orchester der Kunstreiter gleichzeitig einen Galopp in l); der Besitzer des größten Schweines stieß in die Trompete, und der Jmpressario der stärksten Frau schrie noch schneidender mit seiner eigenen Lunge. Dazu das wachsende Brausen der heranströmenden schaulustigen Menge, und alles zusammen auf engstem Raume; denn in Elberfeld fehlt es sonst an gar nichts, aber an Platz fehlt es überall.

Da war an keinen Schlaf inehr zu denken. Der unglückliche Mann von der Seidenbranche sprang auf und starrte in entsagender Verzweiflung minutenlang in den Tumult hinaus.