Das verlorene Paradies.
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Nach einer Weile bemerkte er, daß sein Nachbar auf Nummer 1 gleich beschaulich am offenen Fenster liege. Er ries hinüber: „Ich hatte mir dies ruhige Zimmer eigens voraus bestellt, weil es auf Fluß und Garten geht, und nun diese Höllen-Kirmeß da drunten!"
„Auf seinem stillen Seiden-Comptoir ist der Aermste des Lärmes nicht gewöhnt," dachte Nummer 1 und ries doppelt laut zurück: „Auch ich habe mir dieses Zimmer eigens bestellt, weil ich mich an dem Gewimmel der Kirmeß ergötzen wollte; ich bin nicht vergnügter, als wenn ich so ein recht lautes Volksfest sehe und höre."
„Das ist der Hephästos vom Hochofen," dachte der Andere, „er ist unterem Pochen der Hämmer ausgewachsen."
„Ein göttlicher Anblick!" schrie Nummer 1 fort; denn nur schreiend konnte man von Fenster zu Fenster plaudern. „Ich habe Glück auf meiner Reise; die nettesten Scenen und die unterhaltendsten Menschen laufen mir schon seit Wochen entgegen. Nur gestern reiste ich mit einem Professor, der war furchtbar langweilig, nicht weil er schwieg, sondern weil er stets allein redete wie auf dem Katheder. Diese Gelehrten sind doch die unerquicklichsten Menschenkinder!"
„Beitunter wohl," rief der Andere. „Doch wurde ich gestern zu Düsseldorf in eine hocharistokratische Gesellschaft eingeführt, wo wir drei Stunden lang durcheinander schwiegen, vermuthlich weil die Gewohnheit des Sprechens den Leuten zu allgemein, zu bürgerlich erschien. Und ich glaube, so ein blasirter Graf oder Baron kann es an Langweiligkeit selbst mit einein Professor aufnehmen. — Aber wäre es nicht bequemer, unser Gespräch im Zimmer fortzusetzen, statt hier aus voller Brust wider die rasende Tonbrandung anzuschreien?"
Sie luden sich Beide gegenseitig ein, und da Beide zugleich ihre Zimmer verließen, so trafen sie unterwegs auf dem Hausgang zusammen.
Der Jünger stellte sich nun endlich vor, indem er seine Karte überreichte, und der Aeltere that das Gleiche: -— „Dr. Alcuin Walter, o. ö. Professor der elastischen Philologie" re. re. stand auf der einen Karte, — „Le Comte de Bleydenperg" auf der andern!
„Sie sind Professor der elastischen Philologie!" rief der Graf, indem er herzlich lachend die Hand seines Nachbarn schüttelte; -— „Der Graf von Bleydenperg!" rief der Professor, und betrachtete lächelnd zuerst den Fremden, und dann seine Hand; denn sie war ganz roth und that sehr Weh, so bieder hatte sie der Graf gedrückt.
Hierauf entschuldigten sie sich gegenseitig und versicherten, die ächten Professoren und die ächten Edelleute seien die interessantesten und unterhaltensten Menschen und nur die unächten seien so bodenlos langweilig.
Der Graf aber zog den Professor in sein Zimmer und setzte ihn trotz allen Widerstrebens zu seiner Rechten auf's Sopha und wollte wissen, wie es nur möglich sei, daß ihn seine erprobte Menschenkenntniß so arg getäuscht habe! Wenn er dem Herrn Nachbar in Athen begegnet wäre, so hätte er