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lV. ks. Riehl in München.
in ihm Wohl gleich den elastischen Gelehrten erkannt, aber was suche er denn mit seiner Philologie in Hamm, Hagen, Rheydt, Dortmund, Bieleseld und Elberfeld? Und wie in aller Welt hätten ihn denn seine philologischen Studien zu so staunenswerth genauer Kenntniß der Absteiggnartiere sämmtlicher Handlungsreisenden von Rheinland und Westfalen geführt?
Professor Walter erwiderte: „In Athen bin ich noch bekannter wie
in Elberfeld; denn ich bin zwei Jahre dort gewesen. Und eben darum kann ich den wißbegierigen Elberfeldern Einiges von Athen erzählen und von Troja und Jthaka, von Marathon und Salamis, von Stätten, die ich alle mit Augen gesehen habe, aber gründlicher sah ich sie doch noch im Geiste durch die unsterblichen Werke der Classiker. Die alten Humanisten, die großen Ahnherren der modernen Philologen, reisten von Land zu Land, warben und wirkten für ihre Wissenschaft an den Fürstenhöfen und Edelsitzen, bei Prälaten und Patriziern, und dann wieder unter sich selbst in rastlosem Reise- und Briefverkehr. Wir Professoren beginnen in ähnlicher Weise mobil zu werden. Zwar Fürsten berufen uns kaum und Prälaten und Barone gar nicht, wohl aber die Vortrags-Vereine der Kaufleute und Industriellen, und so sprach ich jüngst über Platon's Republik im Hamm, über Euripides in Dortmund, über den peloponnesischen Krieg in Creseld und im Kohlenrauch von Essen über die Wolken des Aristophanes. Im Semester lese ich an meiner Universität und in den Ferien in Deutschland. Dabei lerne ich dann Land und Leute so ziemlich kennen, die Industrie ein wenig und die Wirthshäuser genau. Aber gestatten Sie mir, Herr Graf, eine Gegenfrage: es würde mich nicht gewundert haben, Ihnen aus dem Montblanc oder aus Capri zu begegnen, in Venedig oder Baden-Baden, in Scheveningen oder Nizza; allein wie kommen Sie nach Solingen und Iserlohn, nach Dortmund, Witten und Oberhausen?"
Ter Graf antwortete: „Sie hätten mich auch an jenen Orten finden
können, denn ich bin da überall gewesen. Allein ich bin der großen Tour satt, und wenn ich auch nicht gleich Ihnen reise, um zu lehren, so reise ich doch mit Leidenschaft, um zu lernen, zunächst auf dieser kleinen Tour durch den malerischen Wald der Fabrikschornsteine. Mein Lebensberuf ist die Politik. Man lernt sie nur einseitig in der Schule, oberflächlich im Salon, handwerksmäßig am grünen Tisch. Keiner soll sich einen Politiker nennen, der nicht das Volk bei der Arbeit beobachtet hat. Ich kannte früher nur die großen und kleinen Bauern, jetzt studire ich die Industriellen, die ich früher unterschätzte, weil ich niemals unter ihnen gelebt habe."
„Das Gleiche sage ich von mir," fiel der Professor ein. „Ich glaubte vordem mit Aristoteles, daß das gewerbliche Schassen nur zu niederer Sinnesart führe, daß blos der musenhast erzogene Mann wahrhaft gebildet sei. Nun habe ich aber bei meinen Wandervorträgen Industrielle und Kaufleute kennen gelernt, die durch Wissensdurst und mühsam errungenen Wissensschatz, durch idealen Geist und feine Sitte zahllose studirte Leute überragen. Es