2H - w. 6. Riehl in München. ^ —
den Frieden unserer Wälder und meiner Studierstube. Steige ich dann wieder hinab, so vergnügt mich das Menschengedränge doppelt und ich athme Ferien- lnft im Straßenstaub und Kohlenrauch. Die Ferien bedeuten nämlich für mich das aufregend anregende Getümmel der großen Welt, und das Semester die erquickende Einsamkeit des Hauses und der Natur."
„Ihr Gelehrte seid doch glückliche Menschen!" rief der Graf. „Ihr ruhet euch aus in der Arbeit, und wenn euer neuestes Buch gedruckt vor euch liegt, so habt ihr doch irgend etwas abgeschlossen und fertig gebracht. Der Politiker bringt gar nichts fertig. Was er heute aufbaut, das wirft eine ungeahnte Welle der Thatsachen, ein unerwartet neuer Strom der öffentlichen Meinung morgen wieder um. Wir finden in der Arbeit nur den Krieg. Künstler und Gelehrte, die in ihrer Arbeit den Frieden finden, die sich in die Einsamkeit ihrer Werkstatt schaffend verschließen, können alt werden und doch jung bleiben; aber kein großer Staatsmann ist jemals alt geworden, ohne sich zu überleben, ja die meisten überleben sich, bevor sie nur alt geworden sind."
„Vor Jahr und Tag," sprach der Professor, „glaubte ich allerdings in der Philologie den vollen Frieden des Schaffens gefunden zu haben. Aber vorigen Sommer verirrte ich mich unversehens ein klein wenig ins Gehege der Kunst-Archäologie, und diese aufregende Disciplin hat mich mehr und gepackt, daß ich sie mit den philologischen Studien zu verbinden trachte. Es ist eine dämonische Wissenschaft. Und können Sie's wohl glauben: zu dieser beunruhigenden Archäologie lockte mich eine schöne Dame, die so unwissend war, daß sie glaubte, Philologie uud Archäologie seien ein und dasselbe! Diese Dame — — —"
Sie waren auf den Scheitel des Berges, aus die eigentliche Hardt gekommen, und es öffnete sich hier eine so prächtige Aussicht, daß der Graf, in den Anblick versunken, offenbar nicht zuhörte, und so unterbrach sich auch der Professor.
Links lagen die Höhen, welche Elberfeld umrahmen, und aus der Tiefe lugten hier und dort die Dächer der Stadt hervor; rechts im fernen Hintergründe tauchte die Schwesterstadt Barmen auf, von grünen Waldhügeln umkränzt, und mitten durch zog die Wupper zwischen Häusern und Gärten ihren leichtgeschweiften Bogen. Der Wind verwehte die verworrenen Klänge der Elberfelder Kirmeß, daß man sie nur abgebrochen hörte, und trug dagegen vom Barmer Kirchhof, der fern an der jenseitigen Bergeshalde lehnt, die Accorde eines von Posaunen geblasenen Chorals gedämpft und doch voll herüber. Die Abendsonne verglühte, und ein dünner Nebelschleier verhüllte das unruhige Häusergewimmel des betriebsamen Thals.
„Welch' ergreifendes Bild des Lebens!" rief der Graf. „Hier Luft dort Leid, Kirmeß und Kirchhof, Walzer und Choral, — und dazwischen das Summen der Maschinen, das Brausen der arbeitsvollen Stadt, — und das Abendroth gießt seinen versöhnenden Schein heute wie gestern über all