- Karl Beck in Wien.
Erlauer und Szegßarder floß heut Nacht tu Strömen vor meinen Augen, hinreißender als Zigeunermusik klang die Marseillaise in mein Ohr. Ja, lernen, lesen, nicht mit den armseligen Freuden und Leiden seines winzigen Jchs ausnahmslos sich beschäftigen, — welche Wohlthat! Die erste französische Revolution rollte sich auf vor meinen Blicken. Der Tag war bereits angebrochen, ich saß noch immer in das Buch der Bücher vertieft. Wochen und Monde lang wird's mir Nahrung und Arznei^ sein. Freilich fesseln mich noch vorzugsweise die Geschichten in der Geschichte, etwa wie das Kind zum Texte der Bilder bedarf, oder wie man der spannenden Handlung eines meisterhast dargestellten Trauerspiels folgt, aber unter dem Eindruck hochgehender Leidenschaften, wohl auch in Banden geistiger Unmündigkeit den eigentlichen Gehalt des Stückes nicht sofort zu fassen vermag.""
„Thut nichts, znm zweiten, zum dritten Mal wird's Ihnen doch gedanklich tiefer zugehen."
„„Mich dünkt,"" fuhr er fort, „„ich hätte mit Danton und Robespierre gelebt, geschaffen und — geendet. O, zu jener Zeit war die Erde von trunkenen Feuergeistern bevölkert; in der unsrigen wirthschaften nüchterne Wassergeister. Die Flamme verdichtet sich und züngelt nach oben; das Wasser verflacht sich und schießt abwärts. Die heutige Welt ist bar aller bahnbrechenden Ideen, sie zehrt vom aufgespeicherten Vorrath vergangener Tage, ist bar aller starken Gefühle und stopft ihr hohles Gemüth mit matten Neigungen aus.""
Es ist eine sonderbare Empfindung, wenn wir die Meinung eines Freundes zu bekämpfen gezwungen sind, wir müssen uns gegen den eigenen Trieb wafsnen, der uns zur Beipflichtung dieser Meinung bewegen möchte. Ich erwiderte: „Vielseitig sich entwickeln und flach werden, ist ^zweierlei;
den Gedankeninhalt unserer Vorgänger prüfen, würdigen, vervollständigen, heißt nicht an fremder Tafel schmarotzen; ' dem Realismus des Lebens Rechnung tragen, heißt noch lange nicht nüchtern sein und die Brust mit matten Neigungen füllen. Ich will nicht den Fortschrittstmseres Säculnms im Einzelnen mustern, es würde zu weitZsühren; aber es sei mir zu fragen gestattet: sind wir nicht Millionäre der Wissenschaft geworden? Hätte dem Corsen nicht die Erde gehört, hätte er gleich uns dem Dampf und der Schiene geboten? pocht nicht die Kunst in unseren Tagen mächtig genug an die Herzen? haben die Seelen nicht eher an Hoheit gewonnen? rüsten sich nicht die Geister, die wahre Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zu erstreiten? Freund, Sie sind über dies metternichische Oesterreich nicht hinausgekommen; hier hat man freilich den Zeiger der Geschichte zurückgeschoben, aber in der übrigen Welt gehen die Uhren verzweifelt richtig, und Jedermann weiß, daß es bald zwölf stchlagen muß. Doch lassen wir das Prophezeien und Zeichendeuten, es ist ein undankbares und gefährliches Handwerk."
Wir waren an's Fenster getreten. Eben erst tiefernst, schlug er nun plötzlich übermüthige, sorglose Weisen an. Glich er doch stets in seinem