Heft 
(1879) 25
Seite
74
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Tmile Augier.

von

Vaul Lindau.

Berlin.

I.

nter den zeitgenössischen Bühnendichtern Frankreichs nimmt Emile Angier wohl die erste Stelle ein. Jedenfalls erweckt die schriftstellerische Persönlichkeit dieses Dramatikers die lebhaftesten Sympathien. Sein dichterisches Wirken von dein Angenblicke an, da der viernnd- Zwanzigjährige Jüngling zum ersten Male vor das Publicum trat, bis ans den heutigen Tag weist einen markigen Zug von Noblesse, von Ernst und Lauterkeit aus, der ungemein wohlthnend berührt. In diesem Schriftsteller ist keine Faser von Niedrigkeit und Gemeinheit. Niemals hat er sich hervor­drängen, niemals durch interessante Paradoxe blenden wollen. Seine Arbeit ist frei von jeder Berechnung auf den Beifall der Menge. Er ist ein durch und durch gewissenhafter Schriftsteller, der sein Talent nur in den Dienst seiner Ueberzeugung stellt. Trifft diese mit der Strömung des Tages zusammen, so bleibt er im gewöhnlichen Fahrwasser, unbekümmert darum, ob seinen Werken durch den Mangel an originaler Auffassung das Schicksal des Gewöhnlichen bereitet werde; lehnt sich aber seine Ueberzeugung gegen das wankelmüthige Gesetz des Tages auf, so rudert er mit kräftigem Arme gegen den Strom, gleichviel, ob er dem Anprall der wider ihn anstürmenden Gewalten unterliege oder nicht. Augier hegt gegen das Publicum weder die thörichte Geringschätzung, deren sich nur eine verblendete Selbstüberhebung schuldig machen kann, noch dient er ihm knechtisch. Er ist ein selbstständiger, ruhiger Denker, der sein Talent ausschließlich dazu verwerthet, das, was er als das Richtige erkannt hat, in der dramatischen Form, die er vollkommen beherrscht, in möglich künstlerischer Abrundung zun: Ausdruck zu bringen, um dadurch für seine Erkenntniß Jünger in den weitesten Kreisen zu werben, sei es durch ein verlockendes und liebreizendes Gemälde dessen, was ihm als das