Heft 
(1879) 25
Seite
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Lmile Au gier.

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In einer prächtigen Scene, die aus einen: Meisterwerke der elastischen Dichtung ausgeschnitten zu sein scheint, treffen Fabrice und dieser Don Annibal beim Wein zusammen. Natürlich betrinkt sich Annibal, Fabrice bleibt nüchtern, und im Weinrausch schwatzt der unzurechnungsfähige Mitschuldige der Aben­teurerin alles aus, was Fabrice wissen will. Sobald dieser festgestellt hat, daß Clorinde unter dem Namen Cleopatra eine mittelmäßige Schauspielerin gewesen ist und ein ziemlich wüstes Leben geführt hat, ist sein Entschluß gefaßt. Da er sich nicht der Täuschung hingibt, daß sein Vater, der durch die Liebe ganz verblendet, der vernünftigen Zusprache zugänglich sein werde, rückt er dem Ungeheuer, das die Ehre seiner Familie zu verschlingen droht, zu Leibe. Dieser Auftritt ist von einer ungewöhnlichen Energie, so vollkommen schonungslos gegen das Laster, so hart, daß man doch mit der unglücklichen Clorinde einiges Mitleid empfindet und den unbarmherzigen Richter Fabrice von dem Vorwurfe einer gewissen Brutalität in der sittlichen Entrüstung nicht frei sprechen kann. Clorinde macht eine unpassende Bemerkung über Fabrices Mutter; da bricht sein Zorn los:

Meine Mutter, Sie Elende! ruft Fabrice. Meine Mutter! . . . Unterstehen Sie sich von dieser Heiligen anders als mit gebeugtem Knie zu reden! Sie Courtisane, Sie Lügnerin, Sie Ehrlose!

Sie sprechen zu einem Weibe, entgegnet Clorinde.

Dies Wort gibt Ihnen keinen Schutz. Ist ein Feigling ein Mann und sind Sie ein Weib? Nein. Weiber ohne Scham wie Männer ohne Muth sind gleichermaßen schimpflich. Wenn ich sehe, wie Ihr und Eures­gleichen Euer Gift in die reinsten Herzen spritzt, wenn Ihr durch allerlei hinterlistige Ränke in unserer Häuslichkeit die Stelle der ehrenhaften Frau erschwindeln wollt, um neben unfern Schwestern Eure befleckten Stirnen zu erheben, und uns mit dem, was wir lieben, auch das, was wir achten, zu rauben, dann geh! geh mir aus den Augen!! Du glaubst, daß Du hier ungestört Deines Amtes walten darfst, mir straflos meinen Vater und mein Heim rauben, daß Du das heilige Zimmer, in dem meine Mutter ihren letzten Athemzug gethan, beflecken darfst? O nein! Und wenn die Gerechtigkeit des Himmels auf sich warten läßt, so werde ich Dich Natter zerdrücken!

Diese fürchterliche Strafpredigt wirft Clorinden zu Boden. Und wunderbar! Die Schmähungen, die sie hat erdulden müssen, die tiefen Demüthigungen, erwecken ihr kein Gefühl des Hasses, keinen Gedanken der Rache! Sie fühlt, daß sie den Mann, der sie so tief verachtet, wahrhaft liebt.

Es ist das erste Mal, daß ich einem Manne begegne mit einem unbändigen Herzen, über das ich nichts vermag, einem Muthe, der dem meinigen überlegen ist. Ich empfinde, daß ich die Schwächere bin, und ich bin stolz, es zu sein. Es ist ein eigenthümlich wollüstiger Reiz, sich vor seinem Herrn zu beugen," sagt sie zu ihrem Mitschuldigen und verläßt das Haus, nachdem sie Fabrice durch ihre aufrichtige Reue versöhnlich gestimmt hat.

Chronologisch ist^vsntuuisrs" das erste Schauspiel in der modernen