Emile Augier.
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wie wir sie noch immer nennen wollen, hat eine sehr kluge Mutter, die richtige Theatermutter, und diese hat es durchgesetzt, daß Olympia, die sich angeblich über den Ocean begeben hatte, von allen Pariser Klatschblättern todtgesagt worden ist, und daß alle Personen, — es sind deren genug — für die das lustige Mädchen eine angenehme Erinnerung war, an den Tod glauben. So steht Olympia zu Beginn des Stückes unbelästigt von der Verworfenheit ihrer vergangenen Ausschweifungen — sie steht unbelastet da. Ihr Gatte, der Gras Henri Puygiron, erwirbt der nicht Ebenbürtigen die Aufnahme in die hocharistokratische Familie. Der alte Marquis und die Marquise behandeln sie wie ihresgleichen, als die würdige Gattin ihres Neffen. Mit einem Worte, — Augier schasst für Olympia alle Bedingungen, welche denkbar sind, um ihr die Besserung zu ermöglichen, um ihr die Existenz der achtbaren und geachteten Gattin eines Ehrenmannes zu begründen. Olympia hat nicht das Recht, wie Clorinde von der Lieblosigkeit der Gesellschaft zu sprechen, die dem Sünder den Weg der Reue versperrt; die Achtung der Welt, nach der Clorinde vergeblich strebt, ist ihr als Hochzeitsgeschenk dargebracht worden. Olympia braucht, um im Sinne der Gesellschaft ehrenhaft und geehrt zu sein, es nur zu wollen. Was aber geschieht? Sie merkt sehr bald, daß das Laster und die Verworfenheit ungleich vergnüglicher und spaßhafter sind als die Sittsamkeit. Sie langweilt sich in der Gesellschaft der anständigen Menschen. Für die stillen Freuden eines ruhig achtbaren Hauses hat sie nicht das leiseste Verständniß. Die Eintönigkeit des regulären Lebens bringt sie fast um. Sie findet, daß die Achtung, deren sie sich zu erfreuen hat, denn doch zu theuer erkauft ist, und ein unwiderstehliches Sehnen — Augier nennt es „das Heimweh nach dem Schmutze" (1a no8tatgis cks 1a bong) — treibt sie nach dem Pfuhl zurück, aus dem sie der Graf geholt hatte. Und als sich der Anlaß findet, wieder;einmal, wie in den lustigen Tagen der lachenden Lüderlichkeit, zu soupiren, Sect zu trinken und Zoten zu trällern, da erwacht die alte in fernen Landen begrabene Olympia wie zu neuem Leben, und sie ruft ganz vergnügt aus: „Wenn jetzt meine
neue Familie kommt und mich mit einer halben Million verflucht — mir soll's recht sein! dann sind wir quitt."
Sobald Olympia diese Freuden ihrer Neubelebung empfunden hat, hat sie nur noch ein Ziel im Auge: die Trennung von ihrem langweiligen und geachteten Manne und die Erpressung einer genügenden Abstandssumme, um ihr zu gestatten, ihren etwas phantastischen Neigungen nachzugehen. Sie sagt das schließlich auch mit cynischer Offenheit dem Oheim, dem alten Marquis, der als Chef des Hauses die Ehre des Namens vor Allem zu vertreten hat. Ter Marquis versieht in diesen Dingen keinen Spaß. Schon in der ersten Scene, ehe er noch ahnen konnte, daß es die Praxis ihm nahe legen würde, seine Theorie zu erproben, hat er seinen Standpunkt klar präcisirt. Ein
junger Lebemann hat da gesagt: „Das Steckenpferd unserer Zeit ist die
Wiedererhebung des gesunkenen Weibes. Unsere Lyriker, unsere Roman-
Nord und Süd. IX, 25 . 1