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j)aul Lindau in Berlin.
schriftsteller, unsere Dramatiker erfüllen die jungen Köpfe mit fieberhaften Ideen über die Erlösung durch die Liebe, die Jungfräulichkeit der Seele und andere Paradoxe tranfcendentaler Philosophie, die diese lustigen Mamsells ausbeuten, um Damen und sogar große Damen zu werden.
— Große Damen?
— Versteht stich. Die Ehe ist ihr letzter Fischzug, und da muß der Fisch, den sie im Netze fangen, der Rede Werth sein.
— Nun, beim heiligen Ludwig! Diesen Geschöpfen dreht man nicht den Hals um?
— Was würde das Strafgesetzbuch dazu sagen?
— Ich würde mich in dem gegebenen Falle den Teufel um das Strafgesetzbuch kümmern. Wenn Eure Gesetze eine Lücke gelassen haben, durch welche Schimpf und Schande straflos in das Haus schlüpfen können, wenn ein ehrloses Mädchen die Ehre einer ganzen Familie auf dem Rücken eines berauschten jungen Mannes stehlen und vernichten darf, dann ist es die Pflicht des Vaters, wenn auch nicht sein Recht, der Diebin seinen ehrlichen Namen zu entreißen, und wäre er auch wie das Nessuskleid mit der Haut verwachsen.
—- Das ist aber für unsre Zeit eine etwas wilde Rechtsprechung. Wenn nun die Schuldige in dem ruhigen und reinen Leben der Familie sich besserte?
— Sie bessert sich eben nicht! Man versetze eine Ente auf durchsichtig Helles Wasser inmitten der weißen Schwäne, und man wird sehen, wie sie sich nach ihrer Pfütze sehnt und schließlich auch dahin zurückfliegt.
— Das Heimweh nach dem Schmutze! Also geben Sie nicht zu, daß es büßende Magdalenen gebe?
— O doch, — aber blos in der Wüste! — —"
Als nun dieser im Ehrenpunkte unbeugsame Marquis die Wahrheit über Olympia erfährt, als er sie in ihrer ganzen Verworfenheit durchschaut, als ferner Olympia, um Geld aus ihrer Schande zu schlagen, die Anwendung des empörendsten Mittels, der Erpressung, versucht und damit droht, unter dem Namen Puygiron das alte lüderliche Leben wieder aufzunehmen, thut der Marquis, was er vorher gesagt: er dreht der Ehrlosen zwar nicht den Hals um, aber er schießt sie nieder.
Dieser gewaltsame Schluß hat die Bühnenwirkung des Dramas natürlich stets beeinträchtigt; aber das Verdienstliche des Werkes wird dadurch in keiner Weise geschmälert. „Os mariaAs ck'Ol^raxs" bleibt eine der interessantesten, bestausgeführten und tiefsten Sittenstudien, die auf der Bühne zur Schau gestellt worden sind, — in hohem Grade unerfreulich allerdings, aber darum nicht minder imponirend als dichterisches Werk. Die Moral des Stückes oder besser: die einseitige und willkürliche Vollstreckung des gewaltthätigen Urtheils dieser Moral, die Auflehnung des beleidigten Individuums gegen das allgemeine Gesetz, hat, wie dies natürlich ist, scharfe Widersacher, hat aber auch warme. Vertheidiger gesunden. Und sonderbar, sogar im Schoße der