Lmile Augier.
99
das Opfer fällen sollte. Im Stücke selbst war ein deutlicher Hinweis auf diese elende Zukunft gegeben. Da wurde deutlich gesagt, was Seraphine erwartete — zunächst das wüste Leben, die Betäubung des Gewissens durch lärmende Ausschweifungen; und dann, nachdem dieser kurze Rausch vorüber, das frühe Alter, die Demüthigung, die Schande, die Noth, das Hospital. Die wirkliche Moralität des Stückes ist nicht in der Beantwortung der Frage zu suchen, ob Seraphine zum Schluß bestraft wird oder straffrei ausgeht, sondern in der Wirkung, die die handelnden Personen Hervorrufen. Und diese ist: aufrichtige, warme Sympathie für den unglücklichen Gatten, Abscheu und Ekel vor Seraphinen.
Erwähnt mag noch werden, daß das Stück, nachdem es an der Klippe des ersten Abends vorbeigesegelt war, einen geräuschvollen, nachhaltigen und dauernden Erfolg gehabt hat.
VIII.
Noch inniger als die eben besprochenen beiden Schauspiele sind die beiden folgenden: „Us8 Üllront68" und ,Ps Kl8 cks Oädo^er" miteinander verknüpft. In den Letzteren sind zum Theil sogar die Handelnden Personen dieselben; und zwischen „Da Ä8 cks Gibo^sr" und „1^ Ullronts8" besteht ein ähnliches Verhältniß wie zwischen „Figaros Hochzeit" und dem „Barbier von Sevilla."
„Oos UllrontW" gehört recht eigentlich zu denjenigen Stücken, für welche wir im Deutschen die Bezeichnung „Charakterlustspiel" haben. In der Ansammlung scharf beobachteter und trefflich gezeichneter Typen der modernen Gesellschaft beruht hier der Hauptreiz. Das Interesse an der Handlung tritt hinter dem Interesse an den handelnden Personen zurück.
Die Zeit, in welcher das Stück geschrieben und zum ersten Male aufgeführt wurde, darf nicht übersehen werden. Es war im Januar 1861. Das Kaiserreich, das aus zwei Feldzügen siegreich hervorgegangen war, stand auf der Höhe seiner Macht. Bei den Debatten über das Budget verwiesen die Minister den Angriffen der fünf Männer starken Opposition gegenüber unter dem Beifall der kolossalen regierungsfreundlichen Majorität — Aller gegen fünf! — mit Stolz auf die ziffermäßigen Beläge, die die Thatsache zu bekräftigen schienen, daß der Handel sich niemals einer größeren Prosperität zu erfreuen gehabt habe, und daß das Volk ein materielles Wohlbehagen genieße wie nie zuvor. Die Unternehmungslust entfaltete eine fieberhafte Thätigkeit, die Börse frohlockte; waghalsige Speculationen, deren eine der andern in wilder Hetzjagd nachsetzte, bildeten das Tagesgespräch und erregten staunende Bewunderung. Mit unnatürlicher Geschwindigkeit wurden große Vermögen angesammelt; und die ganze Bevölkerung, die von einer Art epidemischem Geldfiebers erfaßt zu sein schien, von der Umgebung des Kaisers bis zum Concierge herab, betheiligte sich an den Spielen der Börse. Daß