j)aul Lindau in Berlin.
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frühere Chefredacteur des clericalen Organs, ein Therisites zu Ehren des heiligen Vater, ein giftiger Pamphletist, der, wie Augier sagt, „das äi68 iE aus der Jahrmarktsflöte bläst", ist gestorben. An der Charakterisirung dieses clericalen Stimmführers erkannte Jedermann auf den ersten Blick Louis Veuillot, und dieser selbst mußte das Portrait als ein so verzweifelt ähnliches anerkennen, daß er sich durch wüste Schmähungen gegen Augier zu rächen suchte.
Die Clericalen, deren Sache Giboyer nun zu vertreten hat, sind in dem Augier'schen Lustspiel in sehr interessanten Exemplaren vertreten. Außer dein alten Marquis, dem Clericalen von Geburt und Erziehung, für den die strenge Rechtgläubigkeit untrennbar von der reactionären Politik ist, finden wir zunächst die Baronin Psesfers, die anmuthige Salondame und politische Intrigantin in einer Person. Sie steht an der Spitze von Wohlthätigkeitsanstalteu, führt ihren Beichtvater in der Equipage mit sich und verfolgt ihre Privatvortheile, die sie durch die Verbindung mit der Partei des Adels und des Glaubens am sichersten und mühelosesten durchzusetzen hofft. Ihr Adel ist etwas zweifelhaft; sie hofft, denselben besser stützen zu können, indem sie sich mit einem jungen Grasen, der einer der guten Familien des Landes angehört, verbindet. Dieser junge Graf ist ebenfalls ein Clericaler. Er ist in der strengsten Bigotterie und unter dein verdummenden Einflüsse seines geistlichen Lehrers ausgewachsen. Er ist halb Idiot, halb Tartufse. Endlich ist noch der clericale Bourgeois, der Abgeordnete Marechal, in dieser Galerie vertreten, ein ehrgeiziger, ungebildeter Mensch, der durch die Clericalen einen Sitz im Parlamente erhalten hat und aus diesem Grunde mit ihnen gemeinsame Sache macht; von der Partei in seiner Eitelkeit gekränkt, -geht er flugs in das entgegengesetzte Lager über.
In diese politische Satire hat der Dichter das psychologisch sehr interessante Verhältniß zwischen Vater-und Sohn Giboyer nnd eine anmuthige Liebesgeschichte verflochten.
Laube urtheilt über das Stück, das er als „bahnbrechend für die ganze Gattung" bezeichnet, mit treffenden Worten so: „Es schildert die französische moderne Gesellschaft in ihren freien Kämpfen zwischen absterbendem Adel, eitlem Bürgerthume, begabtem, aber gewissenlosem Literatenthume, gemeiner Speculation und reiner Jugend und bringt diese Schilderung nirgends abstracr. sondern durchweg in scenischer Fülle und unter aufsleigendem dramatischem Interesse, gewürzt durch einen geistsprühenden Dialog. Kurz, es ist eines der besten Stücke neuster Zeit."
Mit den hier analysirten Stücken hat auch das folgende „Nuitrs Ousrru", (29. October 1864) — ein verschlagener und gewinnsüchtiger Advokat, der einen ehrlichen unpraktischen Erfinder in gewissenlosester Weise auszubeuten sucht, — eine gewisse Gemeinschaft. Nur ist die Handlung verworrener und weniger interessant, die Charakteristik weniger treffend; und das Stück kann, obwohl es in vielen Einzelheiten das echte Gepräge des Augier'schen Geistes trägt, den gelungenen Schöpfungen des Dichters nicht ebenbürtig beigesellt werden.