p)aul Lindau in Berlin.
des dichterischen Richters als die Sympathie für den Verfasser erweckten, ist „Im eontaZIocO wohl das interessanteste. Der Titel ist vielleicht nicht ganz glücklich gewählt, er ist zu vielsagend. Der Proceß der „Ansteckung", der die guten Sitten durch das Laster ausgesetzt sind, ist nur ein Motiv der Handlung, und noch dazu ein vorübergehendes. Die Ansteckung hat keine tödtliche Folgen. Der eigentliche Held des Stückes wird durch die unsittliche Epidemie nur auf kurze Zeit belästigt; und die Ansteckung verursacht ihm lediglich eine starke Indisposition, aber keine gefahrvolle Krankheit. Treffender wäre der erste Titel gewesen, den Augier zunächst bestimmt hatte: „Der Baron d'Estrigaud." Das ist der andere Held des Stückes, derjenige, der den Krankheitsstosf in der Gesellschaft weiter trägt und einen jeden, der mit ihm in Berührung kommt, mit dem Gifte des Lasters mehr oder minder insicirt. Dieser Baron ist dem Dichter besonders übel genommen worden.
Estrigaud ist ein Schurke mit vollendeten gesellschaftlichen Manieren und aus guter Familie. Er schwindelt mit Hülfe der elendesten Jobber an der Börse, er verkehrt mit den berüchtigtsten Weibern; und die Möglichkeit, daß er eine dieser Personen, die ein Vermögen zusammcngerafft hat, eines Tages heirathen werde, um sich nicht die Entbehrungen, die aus seinem finanziellen Ruin erwachsen müßten, aufzuerlegen, ist aus seinen Berechnungen keineswegs ausgeschlossen. Nebenbei versucht er es auch, Frauen von anständiger Gesinnung zu compromittiren und dadurch seinen Gelüsten gefügiger zu machen. Um sich Vortheile zu verschaffen, bemüht er sich planvoll die sittliche Thatkraft eines unerfahrenen Menschens zu brechen — mit einem Worte: er ist ein ganz gewissenloser Bursche, der, an ein Dasein in Luxus und Freuden gewöhnt, jeder Schandthat fähig ist, um seiner Genußsucht zu fröhnen.
Tie Freundin dieses Barons, mit deren Hülse er seine kleinen und großen Schäudlichkeiten ausführt, ist eine Dame von unzweifelhaft schlechten: Rufe, ein Fräulein Navarette, eine geistvolle, verschlagene Intrigantin und vollkommen unmoralische Person, die sich einstweilen als Werkzeug des Barons gebrauchen läßt, in der festen und nicht unbegründeten Voraussetzung, daß sie eines Tages die Oberhand gewinnen und ihrem Ehrgeiz werde genügen können: ihren: zweifelhaften Rufe durch den unzweifelhaften Titel einer Baronin d'Estrigaud wieder auszuhelsen. Der Dritte im Bunde ist der Börsenjobber Cantenac.
Diesem mit dein Gifte der Unsittlichkeit behafteten Trifolium stehen die Familien Tenancier und Lagarde gegenüber. Tenancier ist ein einfacher Mann von: alten Schlage. Seine beiden Kinder sind von der unsittlichen Ansteckung nicht verschont geblieben. Der Sohn, Lucien, führt das sinnlose Leben der reichen Pariser Wüstlinge, und die Tochter Annette, die Wittwe des Marquis Galeotti, gehört zu jenen „neugierigen" Damen, die ein besonderes Wohlgefallen daran haben, auszuforschen, wie es in den Regionen der Temimonde zugeht. Sie ist eine Repräsentantin jener in der Pariser Gesellschaft sehr bekannten Kategorie von Damen der guten Gesellschaft, die den Ton, die Sprache, die