Heft 
(1879) 25
Seite
105
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Lmile Au gier.

Manieren der Cocotten zu salonfähigen zu machen eifrig bestrebt find. Sie berührt in ihren Gesprächen Themata der heikelsten Art und gebraucht Wendungen von einer haarsträubenden Ungenirtheit. Sie macht alle Extra­vaganzen der Mode mit, producirt sich im Skatingrink, raucht im Salon und und fetzt sich so, daß ihr elegantes Schuhwerk zunächst die Aufmerksamkeit auf sich ziehen muß. Ja, sie findet sogar einen Vorwand, unr mit einer jener Damen, die sie zu copiren sucht und leider auch mit großem Geschick copirt, mit Navarette, persönlich zusammenzutreffen, um aus der Quelle selbst schöpfen zu können. Die Marquise spielt natürlich in den Salons Komödie; um sich angeblich die Rolle einstudircn zu lassen, bescheidet sie Navarette zu sich. Die Scene ist äußerst pikant; die Marquise führt sich ganz so auf, als ob sie die sociale Stellung Navarettes inne hätte, während Navarette durch ihre anständige Zurückhaltung und Discretion hier die wirklich vornehme und gebildete Dame ist.

Der Anstecknngsproceß soll vornehmlich an Andre Lagarde demonstirt werden. Andre ist, wie die meisten Helden der französischen Lustspiele, ein tüchtiger Ingenieur, der eine großartige, industrielle Unternehmung, einen Kanal in Südspanien, durch welchen die Handelsinteressen Englands (Gibraltar) gefährdet werden, ausgearbeitet hat. Nachdem er die Concessiou zur Ausführung erhalten hat, sucht er in Paris sich die nöthigen Capitalien zu verschaffen. Er verspricht sich von der Arbeit Ruhm und ein hinreichendes Vermögen, um seine Schwester, ein einfaches, liebenswürdiges Kind, mit einer bedeutenden Mitgift ansstatten zu können. Andrö geräth dadurch in die Hände des Barons, der durch seine verwegenen Börsenspeculationen mit großen Capitalisten in unausgesetztem Verkehre steht. Und dem Baron gelingt es in der Thai, die Börse für die Sache zu interessireu. Andrü sieht eine glänzende Zukunft vor sich. Da intervenirt ein englischer Agent, der drei Millionen bietet, wenn die Arbeit nicht ausgeführt wird. Und d'Estrigaud hat nun also die Aufgabe, die Sache, die er zunächst fördern wollte, zu Hintertreiben. Er hofft Andre in der Schule des Lasters gefügig zu machen. Er bringt ihn in die schlechteste Gesellschaft, in der man sich bekanntlich oft recht gut amüfirt, in der der junge naive Provinziale ganz geblendet wird und geradezu die Besinnung verliert.

Estrigaud steht in der That auf dem Puncte, den unternommenen Kampf gegen die Sittlichkeit Andres siegreich durchzuführen, die Stimme des Gewisfens in dem berauschten jungen Nimm zu ersticken, seinen Ehrgeiz zu brechen, ihn zum Verrüther an sich selbst zu machen, ihn zu kaufen, als Andre durch einen Zwischenfall, dessen nähere Bezeichnung eine ausführliche Auseinandersetzung erheischen würde, aufgerüttelt wird, den Abgrund, an dessen Rand er durch die Genußsucht gelockt war, deutlich vor Augen sieht, stehen bleibt, umkehrt und den Weg zur Tugend wiederfindet. Mit den Worten:Ihr glaubtet

schon, daß meine Ehre von der Verderbniß angefressen sei, aber die Stiche eures Giftes heilt mau wie alle andern, indem mau sie mit glühendem Eisen aus-