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Paul Lindau in Berlin.
brennt! Lebt wohl! Werft nur Alles weg, was man achtet, Gewissen, Pflichten, Familie, und macht Spreu daraus! Immerhin! Der Tag wird kommen, da die beschimpften und verhöhnten Wahrheiten durch Donnerschläge sich vernehmbar machen werden! Lebt wohl! Ich gehöre nicht zu Euresgleichen!" — mit diesen Worten, die er dem verdutzten Gesindel in's Gesicht schleudert, verläßt er die Gesellschaft, um nicht wieder zu ihr zurückzukehren. Er hat das Uebel erkannt, und schon damit ist der Heilungsproceß eingeleitet. Die gefährlichen Folgen der „oontuAion" sind beseitigt. Dies ist die Hauptscene des Stückes, und sie ist in der That vortrefflich. Nach all dem leichtfertigen Getändel der Frivolität und des Lasters wirkt dies Pathos der sittlichen Entrüstung reinigend wie ein Gewitter. Man fühlt sich wie aus der von Ronärs äs rm und Patchouli geschwängerten dunstigen Athmosphäre wieder in frische und reine Luft versetzt.
Auch „Paul Foreftier" gehört zu denjenigen Angier'schen Stücken, welche die Leidenschaften des Auditoriums entfesselten und heftig angegriffen wurden. Die Widersacher, die aller Orten verkündeten, daß durch die Gewaltthätigkeiten des schonungslosen Dichters die Keuschheit des „Hauses Molitzres" entweiht sei, wurden wider ihren Willen die eifrigsten Agitatoren für den Erfolg des Stückes. Es genügte, daß in allen Blättern zu lesen war, wie Augier hier
bis an die äußersten Grenzen des Erlaubten gehe, ja, wie er diese Grenzen,
soweit sie durch das Herkömmliche gezogen waren, eigentlich schon überschritten habe, um für Hunderte und mehr Abende das IRßatrs ürauyaw zu füllen.
Das Motiv, dem Augier hier eine ihm ganz eigenthümliche dramatische Form gegeben hat, ist in der modernen französischen Literatur sehr häufig, namentlich von den Romandichtern, behandelt worden. Es ist der Conflict zwischen der legitimen Gattin und der Geliebten, der vorübergehende Sieg, den die letztere davonträgt — der Gatte schickt sich an, sein Haus, seine
Familie zu verlassen, um der Geliebten zu folgen — und endlich der
moralische Ausgang, den das Gesetz des Theaters in Gemeinschaft mit dem Gesetze in der Wirklichkeit bedingt: die Rückkehr des treulosen Gatten zu seinem Weibe.
Stücke dieser Art haben alle einen schwachen Punct: und das ist die Lösung, die nothwendig ist, aber niemals recht glaubhaft wird. Die Verirrung ist immer viel beredter und in viel überzeugenderer Weise geschildert als die Bekehrung und der Büßgang. Wenn der Vorhang zum letzten Male über die wieder vereinigten Gatten gefallen ist, so hat man das Gefühl, daß hier doch nur ein vorläufiger Abschluß gefunden ist, das uns aber in den Charakteren und Verhältnissen nichts die Gewähr bietet, wie die Katastrophe in den: nächsten Acte, der etwa noch folgen könnte, nicht auf's Neue ausbrechen werde.
Paul Forestier, ein junger Bildhauer, hat zu einer verheiratheten Frau, Lea de Clers, in strafbaren Beziehungen gestanden. Sein Vater hat ihn aus den Armen dieser schönen und leichtsinnigen Frau gerissen und ihn in