Heft 
(1879) 25
Seite
108
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§08

Paul Lindau in Berlin.

Angesetzmäßigkeit des Verhältnisses Herausstellen. Der Stoff ist wie wenige fruchtbar sür ergreifende dramatische Scenen, und Augiers starkes Talent hat aus -demselben erschütternde Wirkungen gewonnen. Die Lösung freilich ist auch diesmal etwas künstlich und nicht recht befriedigend. Der wiederauftauchende Gatte wird durch eine starke Abfindungssumme dazu bewogen, sich in der Schweiz naturalisiren zu lassen und zu der dort zulässigen Ehescheidung seine Zustimmung zu geben. Darauf heirathet Henriette und diesmal in aller Form den braven Caverlet, und nun steht auch der Verbindung ihrer Tochter mit deren Bräutigam nichts mehr im Wege.

Die hier zuletzt besprochenen Stücke waren freilich glänzende Zeugnisse für das ungebeugte und unverminderte Talent ihres Verfassers; sie zeigten eine ungebrochene Kraft, aber eine Kraft, die sich an Dingen übte, welche unbe­haglich wirkten. Sie vermehrten und bestärkten vielleicht sogar den Ruf des Dichters, aber trotz der allzu lärmenden Erfolge, die dieselben fanden, erschütterten sie die Sympathien. DenFourchambault", dem letzten Stücke, das der Dichter geschrieben hat, war es Vorbehalten, die alten Freundschaften wieder zu gewinnen.

Ueber dieses allbekannte Stück werden wenige Worte genügen. Hier steht der natürliche Sohn dem legitimen Sprossen gegenüber; und dem ersteren ist es Vorbehalten, den Erben des Namens, der ihm von rechtswegen gebührt, durch seine Großmuth zu demüthigen, seinen Vater, der seine Mutter entehrt hat, von der Schande und dem Ruin zu erretten. Außer dem natürlichen Sohne ist es vor allem diese Mutter, das unglückliche Opfer der Verführung, Madame Bernard, die den Fehltritt ihrer Jugend durch lange Reue gesühnt hat, welche in diesem Schauspiel eine tiefe und ergreifende Wirkung ausübt. Augier hat diesmal die schroffen Contraste nach Möglichkeit gemildert und die grellen Farben fast ganz vermieden. Auch in den dramatisch bewegtesten Scenen herrscht ein mildes und gedämpftes Licht, und gewöhnlich spielt die heitere Beleuchtung des Hellen Lustspiels hinein; nur in der großen Schluß­scene wendet der Dichter die stärksten Accente wieder an, und da wirken sie denn auch vollkommen. Das Stück offenbart die edle und humane Gesinnung des Dichters, an der nur Kurzsichtige durch seine unerbittlichen Angriffe aus das Laster und die gesellschaftliche Duldung des Lasters hatten irre werden können, in glänzendster Weise.

Somit hätte der Versuch, ein Bild von der dichterischen Production Augiers zu geben, sein Ende erreicht. Ueberall hat sich der Dichter uns dar­gestellt als ein Mann von strengster Sittlichkeit, von unversöhnlichem Hasse gegen das Gemeine, von glühender Liebe für das Echte und Wahre, von einer Unerschrockenheit in der Verfechtung Dessen, was er als wahr erkannt hat, die an Tollkühnheit streift ein Dichter von starker Muskulatur, der so herzhaft zugreift, daß die Opfer, die er packt, immer die deutlichen