Heft 
(1986) 41
Seite
293
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Schweiz oder, wie 1834 Kranzier, aus Österreich kommend die Berliner in den Genuß der höheren Back- und Naschkünste brachten, welche sie bis dahin entbehrt hatten.

Fontane fand hier Zugang zu einer Welt, wo er sich auch unter den dürftigsten Umständen seinen Existenzbedingungen enthoben fühlte und sein Selbstwertgefühl nicht verleugnen mußte. Als junger Apotheker ist er in den Konditoreien heimisch gewesen, deren Verkehrsformen sich sehr von denen der Salons unterschieden, die regelmäßig einen geselligen Kreis um die Dame oder den Herrn des Hauses versammelten. Allerdings hatten auch die großen Konditoreien ihr eigenes Publikum, das den Ton angab und es Außenseitern schwer machte. Die Konditorei Kranzier Ecke Friedrichstraße/Unter den Linden, die der ältere Fontane nicht ungern besuchte, wäre für den jüngeren schon aus diesem Grunde nicht in Frage gekommen, denn dort verkehrte in Gardeuniform und Zivil die feudale Jeunesse doree. Ihn zog es in die Stehelysche Konditoreimit ihrer von Literatur, Politik und Philosophie geschwängerten Atmosphäre 21 . Natür­lich war keine Rede von einem Vordringen in den Kreis der Stammgäste oder gar ins legendäreRote Zimmer, das seinen Ruf den Wortführern der intellektuellen Opposition verdankte, die dort Zutritt hatten. Doch obwohl er am Rande blieb, partizipierte Fontane an der rudimentären Öffentlichkeit, die von der Lektüre der außerpreußischen Presse zehrte und sich unter den Augen der Polizeispitzel bei Stehely am ungenier­testen regte. Das Lokal behauptete auch insofern die Spitze unter den Berliner Konditoreien, von denen der radikale Publizist Friedrich Saß 1846 in seiner sozialanalytischen Stadtbeschreibung eine Typologie gegeben hat. Er sah sie im ganzen mit Skepsis an.Sie sind eben die einzigen Orte, in denen das blasierte Berlin den Schein eines öffentlichen Lebens zeigt und in denen sich die verwickelten Knäuel der Gesellschaft grup­pieren. Jedes Ereignis, sei es von lokaler oder allgemeiner Bedeutung, erschüttert den Resonanzboden der Eerliner Konditoreien. Sie sind zwar nur ein trauriger Notbehelf für eine großartigere, tiefer ausgehende Öffentlichkeit, für die Befreiung von der bürokratischen Bevormundung und der egoistischen Absonderung des Klassenwesens; aber solange kein energischer, gewaltiger Umschwung unsere ganze Gesellschaft und namentlich das versauernde Berlinertum durchschüttelt, solange wird eben dieses in dem ausgebildeten System seiner Konditoreien seine volle Befrie­digung finden und sich in ihnen auf der höchsten Höhe der Zeitbildung wähnen 22 .

Fontane war keine Ausnahme. Er verließ Stehely, wie er sich erinnerte, immer mit dem Gefühl, sicheine Stunde lang, an einer geweihten Stätte befunden zu haben 23 .

Die Absonderung der privaten von der beruflichen Existenz, in die er sich Anfang der vierziger Jahre hineinlebte, betraf jedoch vor allem den per­sönlichen Umgang. Er bewegte sich meist unter Studenten, angehenden Literaten und dilettierenden Poeten. Um sich unter ihnen zu behaupten, standen ihm sein gewinnendes, lebhaftes Naturell zu Gebote, seine litera­rischen Interessen und sein poetisches Talent. Unter diesen Umständen ergriff der seiner Arbeit innerlich entfremdete Apotheker die - wie man