es genannt hat — „Literatur als Alternative“ 24 . Daß ei» halbwegs gebildeter junger Mann Gedichte verfaßte, war in Fontanes Jugend gang und gäbe und wollte für seine Zukunft nichts besagen. Aber für diesen jungen Mann, der seinen Platz hinter dem Rezeptier- und Ladentisch hatte, erwies sich Poesie als das einzige Mittel, um seine „gesellschaftlichen Defizite“ 25 und die Prosa des Alltags zu kompensieren. Er hatte genügend Anlaß, die Kunst ins Zentrum seiner Anstrengungen und seines anderen, eigentlichen Lebens zu stellen.
Die Erinnerungen, die Fontane in „Von zwanzig bis dreißig“ festgehalten hat, beziehen sich zu mehr als der Hälfte auf die literarischen Vereinigungen, an die er seit 1840 Anschluß fand, und auf die Menschen und Schicksale, mit denen er dadurch in Berührung kam. Die Vereinigungen waren sein Zugang zum literarischen Leben. Sie erlangten einen ganz ungewöhnlichen, nur aus seiner besonderen Lage erklärlichen Einfluß auf seine Entwicklung. Die Bedeutung der Publikationsorgane, bei denen er mehr oder weniger vereinzelt seine Arbeiten unterbrachte, konnte sich damit nicht entfernt vergleichen.
Zwanglose „Dichtergesellschaften“ 20 waren im Vor- und Nachmärz verbreitet. Sie rekrutierten sich vorwiegend aus den ungezählten „Poetae minores“, aber auch namhafte Autoren waren an ihnen beteiligt. Nicht selten legte man sich einen kuriosen Namen zu — in Wien gab es die „Ludlamshöhle“, die Franz Grillparzer unter ihren Mitgliedern hatte und, obwohl 1826 polizeilich aufgelöst, andernorts ähnliche Verbindungen nach sich zog; in Bonn versammelte später Gottfried Kinkel seinen „Maikäferbund“ um sich. Selbstironie war eine häufige Begleiterin bei dem vorwiegend geselligen Treiben, ohne daß darum die ernsthaften Absichten leiden mußten. In Berlin, wo die literarischen Gesellschaften Tradition hatten, florierte diese Art der Gruppenbildung, über die in ihrer Erscheinungsbreite zu wenig bekannt ist. So weiß man von einem Platen-Verein und einem Lenau-Verein, die sonst folgenlos blieben, nur aus den Mitteilungen Fontanes, der ihnen 1840 für kurze Zeit angehörte. Dort herrschte das studentische Element; Kneipereien schlossen sich zumindest im Lenau-Verein dem lyrischen Wettstreit an, der auf den wöchentlichen Zusammenkünften ausgetragen wurde. Ob es ganz so harmlos herging, wie Fontane berichtet, ist nicht zu erkennen. Seine Darstellung entspricht dem Bild mangelnder politischer Bewegung und Reife in einer argwöhnisch überwachten Stadt, das Berlin vor der Thronbesteigung Friedrich Wilhelms IV. bot.
Studentische Vereinigungen dieser Art waren, wie ein Blick nach Breslau oder anderen Universitätsstädten zeigt, nichts Ungewöhnliches; die von den Behörden unterdrückten Bestrebungen zur Organisierung der Studentenschaft und zur Durchsetzung freiheitlicher Forderungen im akademischen und staatlichen Leben fanden in ihnen geeignete Kristallisationsmöglichkeiten vor. Fontane hat verschleiert, daß eine dritte studentische Vereinigung, zu der er während der auf seine Lehrzeit folgenden Wanderjahre in enger Verbindung stand, von derartigen Bestrebungen durchdrungen war. Sie hatte ihren Sitz in Leipzig, wo er 1841 eine Stellung als Apothekengehilfe antrat. Was er - nach dem Leitstern, der soeben
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