Heft 
(1986) 41
Seite
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am poetisch-politischen Horizont dieser Jugend aufgegangen war den Leipziger Herwegh-Klub nannte, ähnelt den beiden Berliner Gruppen nur in seiner späteren Darstellung. In Wahrheit handelte es sich um einen Kreis der illegalen studentischen Progreßbewegung, der sich rasch radi- kalisierte und schon 1843 zerschlagen wurde. 27

Falls Fontane einen Gegensatz zu Berlin gesucht hatte, dann war die Wahl Leipzigs glücklich. Es wehte da ein liberalerer Geist; die Zensur, die Sache der Universität war, urteilte nachsichtiger; man berichtete als verbürgt, daß der mit ihr beauftragte Professor sie nicht selten in die Hände seiner Tochter legte. Oppositionelle Literaten hatten hier Aussicht auf Unter­kommen und Betätigung. Darum war der Ort den Führungsmächten der Heiligen Allianz auch bald ein Dorn im Auge. Ein österreichischer Geheim­bericht machte für den höchst mißliebigen Zustand der Gegenwartslite­ratur geradezu deren Kommerzialisierung verantwortlich und erklärte: Namentlich trägt der Stapelplatz des deutschen Buchhandels und das Hauptquartier des deutschen Literatenwesens, Leipzig, die größte Schuld an diesem Verderben. In dieser Stadt von 50 000 Einwohnern befinden sich an 240 Buchhandlungen, eine ganze Legion von Literaten, und erscheint eine Unzahl von Zeitschriften. Hier ist das Proletariat des deutschen Schriftstellertums und das Patrizitat des Buchhandels. 28 Es war kein Zufall, daß Fontane in Leipzig in die liberale, demokratische, sozia­listische Positionsbildung einbezogen wurde, und daß ihm hier zum ersten Male die Kontaktaufnahme mit dem literarischen Betrieb gelang, wenn auch nicht die Verwirklichung des Gedankens, darin als Redakteur Fuß zu fassen und seinem Doppelleben so ein Ende zu machen.

Am nachhaltigsten hat sich jedoch eine Denkrichtung ausgewirkt, zu der sich der preußische Zuwanderer gedrängt sah: Er hat seitdem nicht wieder aufgehört, die Heimat in nationalen und internationalen Perspektiven zu betrachten und das eigene Land, die eigene Stadt zur Fremde in Vergleich zu setzen. Auf diese Fähigkeit, die zu den wesentlichen Voraussetzungen seiner Entwicklung und seines Realismus zählt, hielt er sich mit Recht etwas zugute. In Sachsens wohlhabendem alten Handels- und Bildungs­zentrum gingen ihm die Augen auf überunser gutes Berlin, das mir von allen echten Berlinern immer als der Inbegriff städtischer Schönheit geschildert worden war. Und nun! Welcher Zusammenbruch. Es gereicht mir noch in diesem Augenblick zu einer gewissen Eitelkeitsbefriedigung, daß mein künstlerisches Gefühl angesichts des Neuen oder richtiger des Alten, was ich da sah, sofort gegen das Dogma vom .schönen Berlin' revoltierte und instinktiv weghatte, daß Städteschönheit was anderes ist als grade Straßen und breite Plätze mit aus der Schachtel genommenen Häusern und Bäumen. Ein paar Ausnahmehäuser, hinter denen ein aus­ländischer Meister und ein königlicher Wille steckt, können das Ganze nicht retten 29 .

Fontane faßte für immer in Berlin Fuß, als er 1844 zum Militärdienst zurückkehrte. Inzwischen hatte er noch in Dresden und bei seinem Vater auf dem Lande als Apotheker gearbeitet. Die Folgen dieser Rückkehr standen denen aus seinem ersten Aufenthalt nicht nach. Er war, als er wiederkam, ein Vormärzdichter, und kein ganz unbedeutender. Dagegen

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